Bräuche & Traditionen

2/2025 BRÄUCHE & Traditionen ~ FOKUS VOLKSKULTUR ~

BRÄUCHE & TRADITIONEN Simon Koiner-Graupp: Bräuche & Traditionen S. 4 BRÄUCHE & TRADITIONEN ERFORSCHEN Leopold Neuhold: Warum braucht unsere Gesellschaft Bräuche und Rituale? S. 8 Eva Heizmann: Zur Geschichte der Brauchforschung in der Steiermark S. 10 Martina Edler: Sammlungspraxen am Volkskundemuseum S. 12 Helmut Groschwitz: Immaterielles Kulturerbe als Gegenstand der Volkskunde S. 14 BRÄUCHE & TRADITIONEN DOKUMENTIEREN Martina Edler/Ursula Grilnauer: Brauchkultur gegenständlich und bildlich dokumentiert S. 18 Katharina Krenn: Schloss Trautenfels S. 20 Elisabeth Schlögl: BRAUCHen wir das noch? S. 22 Hans-Peter Weingand: Erzherzog Johanns Steiermark S. 24 Doris Grassmugg: Abbildung von Brauchformen in der Volksmusikdatenbank S. 26 BRÄUCHE & TRADITIONEN SICHTBARMACHEN Eva Heizmann: Aufbau der digitalen Plattform „BRAUCHforum Steiermark“ S. 30 Paul Reicher: „Do bin i her“ S. 32 Cristina Biasetto: Immaterielles Kulturerbe S. 34 Barbara Schiefer: Traditionen stärken und kulturelles Erbe weiterentwickeln S. 36 Gabriele Fröschl: Wissenschaft als Film S. 38 Markus Fürst/Alexander Schatek: Die Topothek S. 40 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren S. 42 INHALT IMPRESSUM FOKUS VOLKSKULTUR, Jg. 4, 2025/2 Medieninhaber und Herausgeber: Volkskultur Steiermark GmbH, Sporgasse 23, 8010 Graz Geschäftsführung: Mag. Simon Koiner-Graupp Gesamtredaktion: Mag. Eva Heizmann, MA | Layout: The Schubidu Quartet Lektorat: Dr. Rosemarie Konrad | Druck: Druckhaus Thalerhof © Volkskultur Steiermark 2025. Alle Rechte vorbehalten. Erntekrone im Österreichischen Freilichtmuseum Stübing. Foto: Eva Heizmann. 16

3 Vorwort Liebe Steirerinnen und Steirer! Bräuche und Traditionen sind lebendige Zeugnisse unserer Geschichte, unseres Zusammenlebens und unseres kulturellen Selbstverständnisses. Sie sind immaterielles Kulturgut, das uns im Alltag wie zu besonderen Anlässen begleitet und für uns identitätsstiftend ist. In einer zunehmend globalisierten und schnelllebigen Welt sind sie ein Anker – ein verbindendes Element zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Themenschwerpunkt „Bräuche & Traditionen – erforschen.dokumentieren.sichtbarmachen“ möchte diesen kulturellen Ausdrucksformen Raum geben. Es geht darum, die Vielfalt von überlieferten und gelebten Bräuchen zu erfassen, sie zu verstehen und ihre Bedeutung sichtbar zu machen – sowohl für jene, die mit ihnen aufgewachsen sind, als auch für zukünftige Generationen. Denn was heute selbstverständlich scheint, kann morgen schon in Vergessenheit geraten sein. Durch die intensive Auseinandersetzung mit regionalem Brauchtum leisten wir nicht nur einen Beitrag zur Bewahrung kulturellen Erbes, sondern stärken auch das Bewusstsein für unsere eigene Identität und Heimat. Dieses Projekt lädt dazu ein, Traditionen nicht nur zu beobachten, sondern sie aktiv zu erleben, zu hinterfragen und im Wandel der Zeit weiterzutragen. Auf diesem Weg danke ich den Initiatoren und Mitwirkenden dieser Initiative sowie allen Steirerinnen und Steirern, die unsere Bräuche und Traditionen leben. Sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Volkskultur und für die gesamte Steiermark. Ein steirisches „Glück auf!“ Mario Kunasek Landeshauptmann der Steiermark Foto: Land Steiermark.

4 Bräuche & Traditionen. Und warum wir uns damit beschäftigen. Bräuche und Traditionen. Wohl kaum andere Begriffe werden so eng mit dem Themenbereich der Volkskultur in Verbindung gebracht wie diese kulturellen Ausdrucksformen unserer Gesellschaft. Vor dem Hintergrund sich ändernder gesellschaftlicher Strukturen war es für uns in der Volkskultur Steiermark GmbH nun an der Zeit, die Frage zu stellen, welchen Stellenwert Bräuche und Traditionen in unserer globalisierten und digitalisierten Welt einnehmen. Und wie sie in der Steiermark dokumentiert, gelebt und sichtbar gemacht werden. Die Idee, einen zweijährigen Schwerpunkt zu diesem Themenkreis zu initiieren, geisterte schon länger in unseren Köpfen herum. Regelmäßig erreichen uns Anfragen von Medien und Einzelpersonen zu überlieferten regionalen Traditionen und deren Ausgestaltung und Bedeutung. Insbesondere Bräuche im Jahres- und Lebenslauf wecken das Interesse vieler Menschen. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Brauchforschung in der Steiermark durch vielfältige Entwicklungen jedoch zunehmend in den Hintergrund getreten. Ein umfassender Überblick über das regionale Brauchtum und seine Wandlungen im Laufe der Zeit lässt sich daher heute nur schwer gewinnen. Das Interesse an Bräuchen auf der einen Seite und den Mangel einer fundierten Auseinandersetzung mit dem Themenkreis auf der anderen Seite nehmen wir nun zum Anlass, um verstärkt auf die Bedeutung dieses BRÄUCHE & TRADITIONEN

5 kulturellen Erbes hinzuweisen und die Öffentlichkeit für dessen Bedeutung zu sensibilisieren. Um regional gelebte Bräuche und Traditionen weitergeben und sie für die Nachwelt nachvollziehbar aufzeigen zu können, müssen diese kulturellen Ausdrucksformen auch erforscht, dokumentiert und sichtbar gemacht werden. Mit dem Nationalen Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der Österreichischen UNESCO-Kommission wurde in den vergangenen Jahren ein neues Format geschaffen, das eine Dokumentation, Sichtbarmachung und Wertschätzung für einzelne regionale Bräuche, aber auch überlieferte Handwerkstechniken bietet. Jedoch bedarf es vorab einer Bewerbung und der Entscheidung eines Fachbeirats, damit eine kulturelle Praxis im Nationalen Verzeichnis gelistet wird, weshalb hier nur einige der vielen gelebten Traditionen in der Steiermark präsent sind. Daher haben wir uns entschlossen, im Rahmen unserer Schwerpunktsetzung auf den Themenkreis „Bräuche und Traditionen“ mit dem „BRAUCHforum Steiermark“ bis Ende 2026 eine digitale Plattform ins Leben zu rufen, auf der Bräuche dokumentiert und – dem nötigen wissenschaftlichen Anspruch gerecht werdend, aber dennoch praxisnah – erklärt werden sollen. Gleichzeitig soll hier eine digitale Vernetzung von Sammlungsbeständen und Publikationen ermöglicht werden. Denn zu vielen Traditionen finden sich entsprechende Dokumentationen, Sammlungen und Expertisen in den steirischen Museen und bei Heimatforschern in den steirischen Regionen, die der Öffentlichkeit verstärkt vermittelt werden sollen. Darüber hinaus möchte die Volkskultur Steiermark GmbH aber auch Platz für eine kritische Auseinandersetzung mit Bräuchen und Traditionen schaffen. Gerade in Zeiten der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüche werden Bedeutung und Stellenwert von Traditionen gerne hinterfragt. Das Phänomen, dass Bräuche ihren Zweck verlieren und daher nicht mehr gelebt werden, können wir in der Geschichte immer wieder beobachten. Selbstverständlich müssen auch wir uns im Zeitalter der digitalen Transformation kritisch die Frage stellen, ob der jeweilige Brauch noch zeitgerecht ist und welche Bedeutung er im Heute hat. Gleichzeitig entstehen auch neue Bräuche, weil Bräuche einfach im gesellschaftlichen Miteinander geBRAUCHt werden. Sie sind fixer Bestandteil unseres Lebens und zeugen zugleich von der Lebendigkeit der Volkskultur. Simon Koiner-Graupp Geschäftsführer der Volkskultur Steiermark GmbH EINFÜHRUNG

6 Foto: Eva Heizmann.

7 erforschen BRÄUCHE & TRADITIONEN

8 Warum braucht unsere Gesellschaft Bräuche und Rituale? In der Analyse der heutigen Gesellschaft hat ein Wort, das früher wenig gebraucht wurde, eine signifikante Bedeutung erlangt, nämlich Disruption, übersetzt Einbruch, Störung, Unterbrechung, Erschütterung. Die Zeichen stehen also auf grundsätzliche Veränderung. Ausgelöst durch Krisen, wie sie sich etwa im Klimawandel, in der Pandemie oder mit dem Krieg zeigen, macht sich Unsicherheit über die Entwicklung der Gesellschaft breit, und es tun sich Spaltungen in der Gesellschaft auf, die durch Macht, durch Geld, durch Verständigung mit den auf universale Erreichbarkeit gerichteten sogenannten sozialen Kommunikationsmitteln nur schwer überbrückt, wenn nicht sogar vertieft werden. Das hat auch damit zu tun, dass Geld, Macht oder auch Kommunikation auf Teile der Gesellschaftswirklichkeit beschränkt sind und nicht die „Seele“, die sie sein wollen, bilden können. Angesichts dieser Situation, in der ein Mehr an Gleichem zu einer Verschärfung der Krisenphänomene führt, ist es vielleicht besser, nicht zuerst nach dem zu fragen, was Gesellschaft zusammenhält, sondern nach dem, was diesen Zusammenhang re-präsent-iert, also gegenwärtig machen, zum Aufleuchten bringen kann, um darüber zur Frage nach dem, was diesen Zusammenhalt bewirkt, zu kommen. Auf der Suche nach einer Beantwortung dieser Frage landet man bald bei Bräuchen und Ritualen, in denen das Gesellschaftsganze aufblitzt, oft sehr unbestimmt und vage, aber doch. Ritualisierte Bräuche, nach vorgegebenen Mustern ablaufende, in erster Linie formal bestimmte Handlungen mit hohem Symbolgehalt, die oft in feierlich-festlichem Umfeld vollzogen werden, stellen Wege zur Findung dessen, was Orientierung gibt, dar. Sie verweisen auf das, was Bedeutung hat, Zugehörigkeit schafft und Zusammenhalt bewirkt, etwas, was an den Wurzeln der Gesellschaft angesiedelt ist und die in das kulturelle Bewusstsein abgelegte Vergangenheit zukunftsweisend macht. Dies schafft Beziehungen, die das Zwischenmenschliche in den Fokus rücken und so den Einzelnen überschreiten auf ein Ganzes hin, auch LEOPOLD NEUHOLD BRÄUCHE & TRADITIONEN

9 wenn dies nur schemenhaft erfahrbar ist. Diese Rituale und Bräuche sind oft an Übergängen im individuellen wie auch gesellschaftlichen Leben angesiedelt, zielen auf die Vermittlung von Tradition auf Zukunft hin und bieten dadurch Halt. So wird eine Möglichkeit eröffnet, das auf den ersten Blick Unbegehbare tastend begehbar zu machen. Im Rückgriff auf das kulturelle Gedächtnis werden damit Spuren für Bewältigung des scheinbar nicht zu Bewältigenden gelegt, Spuren, die dann begangen werden müssen. Denn es handelt sich dabei, wie etwa beim Nikolausbrauch, nicht um eine bloße Erinnerung an das, was geschah, sondern es geht um ein vergegenwärtigendes Erinnern, also darum, in heutigen Verhältnissen das, was damals durch Nikolaus geschah, zur Geltung zu bringen, in den heutigen Umständen und mit heutigen Mitteln. Bräuche sind damit nicht einseitig rückwärtsgewandt, sondern sie sprechen eine menschliche und gesellschaftliche Tiefenschicht an, Wurzeln, aus und mit denen man wachsen kann. Sie sind nach dem Wort von Hanns Koren „Heimat ist nicht Enge, sondern Tiefe“ Elemente von Beheimatung und Geborgenheit. Sie schaffen Erinnerungsstruktur, aber bieten auch Hoffnungspotenzial in der Eröffnung von Zukunft. Dabei sind Rituale der Gefahr der Verengung und Erstarrung ausgesetzt, oder einer Perversion in kommerzialisierte Folklore. Wenn Symbole als ein Hinweis des Zusammenfallens einer konkreten Sache oder Handlung mit einer tieferen dahinterliegenden Bedeutung zur Sache gemacht werden, wandeln sie sich nur zu leicht in eine zwingende Vorgabe, die nicht Freiheit ermöglicht, sondern Zwang bedeutet und in Magie abzugleiten droht. Wie der Wirklichkeit eine Uneindeutigkeit eigen ist, so auch den Ritualen und Bräuchen. Wenn diese Offenheit des Verweises eine Einforderung der Verwirklichung eines starren Weges wird, führt das Ritual zur Stabilisierung der Vergangenheit, nicht zur Erneuerung in Gegenwart und Zukunft. Diese Erneuerung auf dem Boden des kollektiven Gedächtnisses wird aber gerade durch lebendige Bräuche erreicht. LEOPOLD NEUHOLD Krampus und Nikolaus. Foto: Öblarner Krampusgruppe.

10 Zur Geschichte der Brauchforschung in der Steiermark Das Volkskundemuseum in Graz wurde 1913 gegründet, und seit 1924 ist die Volkskunde an der Universität Graz als eigenständige Disziplin etabliert. Die Wurzeln der Volkskunde – und damit auch der Brauchforschung – reichen jedoch weiter zurück. Erste Beschreibungen steirischer Bräuche finden sich bereits in frühen Reiseberichten sowie topografisch-lexikalischen Landesdarstellungen. Aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen zudem wertvolle Quellen zu Bräuchen, Sitten und zur Kleidung der Bevölkerung, die auf die statistischen Erhebungen von Erzherzog Johann (1782–1859) zurückgehen. Neben Daten zur wirtschaftlichen Situation und zur Bevölkerungsstruktur hielten diese Erhebungen auch Aspekte der Fest- und Feierkultur, des Volksglaubens, des Tanzes und der Musik fest. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs insbesondere im Bürgertum das Interesse an den kulturellen Ausdrucksformen der ländlichen Bevölkerung. Industrialisierung und Urbanisierung, verbunden mit einem romantisierenden Blick auf das „einfache Volk“, weckten die Sorge, dass eine vermeintlich heile Lebenswelt verloren gehen könnte. Viele Einzelpersonen engagierten sich daher als Heimatforscher, wie beispielweise die Lehrer Johann Krainz (1847–1907) und Karl Reiterer (1860–1934), und dokumentierten volkskulturelle Erscheinungsformen. In dieser Zeit entstanden in der Steiermark auch die ersten Heimatmuseen, und es formierte sich die Heimatschutzbewegung, die sich dem Natur- und Denkmalschutz sowie der Bewahrung regionaler Traditionen widmete. EVA HEIZMANN BRÄUCHE & TRADITIONEN Oswaldikirchtag in Krakaudorf, 3. August 1919. Foto: Volkskundemuseum/Viktor Geramb (F 1729).

11 Einen entscheidenden Schritt zur Institutionalisierung der Volkskunde in der Steiermark setzte Viktor Geramb (1884–1958), der 1913 das Volkskundemuseum in Graz gründete. Er widmete sich intensiv der Haus- und Trachtenforschung und bereiste für seine Sammeltätigkeit die gesamte Steiermark. Auf diesen Forschungsfahrten zeichnete er u. a. auch Bräuche auf und dokumentierte sie fotografisch. Geramb, der ebenso im Heimatschutz und der Volksbildung verankert war, sah schon bald eine Notwendigkeit, seine Forschungsergebnisse mit praktischen Anregungen zur Fest- und Feiergestaltung zu verbinden. Sein 1926 erschienenes Buch „Deutsches Brauchtum in Österreich“ verstand er als Handbuch „zur Kenntnis und zur Pflege guter Sitten und Bräuche“. Über viele Jahrzehnte blieb das Volkskundemuseum in Graz die zentrale Anlaufstelle zur Dokumentation vergangener und gegenwärtiger Brauchpraxis in der Steiermark. Ergänzend übernahm das Museum im Schloss Trautenfels, das 1959 gegründet wurde, diese Funktion für die Region Liezen. Unter den Volkskundlerinnen und Volkskundlern, die sich in der Steiermark mit Bräuchen und Traditionen befassten, sind u. a. Leopold Kretzenbacher (1912–2007), Hanns Koren (1906–1985), Sepp Walter (1915–2005) und Roswitha Orač-Stipperger zu nennen. Für die Region Liezen des Weiteren Karl Haiding (1906–1985), Volker Hänsel und in jüngerer Zeit Michael J. Greger, Wolfgang Otte (1958–2024) sowie Katharina Krenn. Auch zahlreiche Regional- und Heimatforscher sowie kleinere Museen tragen zur Dokumentation lokaler Brauchformen bei. Heute ist der Zugang zur Brauchforschung von der Bedeutung der Bräuche im gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext gekennzeichnet. Während die wissenschaftliche Volkskunde vor rund 100 Jahren noch darum bemüht war, kulturhistorische Kontinuitäten „von der Urzeit bis heute“ nachzuzeichnen, stehen mittlerweile die gelebte Praxis und die gegenwärtige Relevanz von Traditionen im Mittelpunkt. Neben überlieferten bäuerlichen Formen werden auch neue Ausdrucksweisen der Fest- und Feierkultur sowie der gesellschaftlichen Interaktion untersucht. Der von der UNESCO geprägte Begriff des „Immateriellen Kulturerbes“, der auch Bräuche und Rituale umfasst, hat zudem dazu beigetragen, dass tradierte Praktiken aktuell aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven betrachtet und reflektiert werden. EVA HEIZMANN Viktor Geramb beim Dokumentieren volkskultureller Objekte und Phänome auf seinen Sammel- und Forschungs- fahrten. Foto: Volkskundemuseum (F 5704). Weiterführende Literatur Michael J. Greger: Kleine Geschichte der Brauchforschung und Brauchbeobachtung im Bezirk Liezen, in: Brauch und Jahr. Neue und überlieferte Bräuche im Bezirk Liezen, CD-ROM 2007.

12 Sammlungspraxen am Volkskundemuseum Unter der niedrigen Eingangsnummer 190 und dem frühen Eingangsdatum Jänner 1914 ist ein Taufandenken im Sammlungsinventar des Grazer Volkskundemuseums registriert. Bezeichnet als Kreasengeldzier war diese Art von Schmuckobjekt zumeist ein Geschenk der Patin oder des Paten und Teil des Taufrituals. Es diente einerseits als Zier für das Taufkissen und war andererseits eine Möglichkeit, auf besondere Weise eine Geldmünze zu schenken. Als Erinnerungsstück an das christliche Sakrament wurde es zumeist lebenslang aufbewahrt. Objekt 190 ist kein Einzelstück, vielmehr eines von zahlreichen Sammlungsobjekten, das für den zentralen Themenbereich „Bräuche und Rituale“ aufgenommen wurde. Dennoch sticht es hervor. Weniger durch seine Machart, die eine durchaus übliche Fertigungstechniken zeigt, sondern vor allem durch die vorhandenen Zusatzinformationen. Eine eingearbeitete Aufschrift liefert erste Fakten: „Hubert, geboren den 14. November 1869 um 3 Uhr früh, getauft um 4 Uhr Nachmitttag, Zeichen Fisch, Planet Marss“. Auf der originalen Karteikarte erfahren wir Näheres zu Ort und Zeit: „Die Taufe fand nach Angabe des Besitzers in Anger (Oststeiermark) statt und das Taufandenken soll schon sein Vater gehabt haben und es soll bei ihm wieder verwendet worden sein.“ Mit diesen Angaben können wir uns der Deutung dieser Taufpraxis erstaunlich weit annähern – zumindest im Vergleich zu vielen anderen Exponaten, die in diesem Zeitraum aufgenommen wurden. Die zeitliche Nähe von Geburt und Taufe sowie die Weitergabe des Taufandenkens innerhalb der Familie geben MARTINA EDLER BRÄUCHE & TRADITIONEN Objekt Nr. 190: Kreasengeldzier. Foto: UMJ/Hannah Pilgram. Veranschaulicht anhand von zwei Beispielen

Weitere Informationen Volkskundemuseum am Paulustor/UMJ Verantwortlich für die Sammlung: Martina Edler und Hannah Pilgram I www.volkskundemuseum-graz.at Aufschluss über Bedeutung und Beziehungsverhältnisse. Auch die astrologischen Vermerke erlauben Einblicke in bestimmte Denkmuster dieser Zeit. Und genau dadurch hebt sich dieses historische Objekt von vielen seiner „Artgenossen“ ab. Obwohl die volkskundliche Sammlung des Museums am Paulustor mit insgesamt rund 90.000 Artefakten quantitativ eine Fülle an steirischer Kultur abbildet – ein beträchtlicher Teil dokumentiert wie erwähnt die Brauch- und Ritualkultur –, liefern nur einzelne Stücke der früheren Sammlungsgeschichte eine derart dichte Hintergrundgeschichte. Vor allem Fragen nach den persönlichen Beweggründen im Hinblick auf einzelne Bräuche hatten neben der Erfassung der sogenannten „harten Fakten“ wenig Platz. Konzentriert auf Maße, Gewicht und Materialität, eventuell Herkunftsort etc. wurde der persönliche Zugang zum jeweiligen Brauchgeschehen selten auf Karteikarten oder Fotorückseiten vermerkt. Welche Motive aber prägten das Handeln? Welche Emotionen waren im Spiel? Es sind dies nur einige Beispiele jener Fragen, die das Volkskundemuseum in der Paulustorgasse spätestens seit der Neuaufstellung im Jahr 2003 verstärkt beschäftigen. Für eine umfassende Kontextualisierung braucht es ausführliche Gespräche bei der Aufnahme neuer Exponate – mit Spielraum für Fragen zu den persönlichen Handlungsmotiven, die es in eine detaillierte Dokumentation zu überführen gilt. Was erzählt uns beispielsweise die auf dem Foto F 12027 abgebildete Namensfestkerze, eines der jüngst dokumentierten Sammlungsobjekte, das ebenfalls für ein Aufnahmeritual eines Kindes in die Gesellschaft steht? Rund um diese Kerze wurde neben der Befragung zu den dargestellten Objektdaten und dem Ablauf des Namensfestes großer Wert auf die persönliche Bedeutungsebene gelegt: Was bewegt Menschen zu bestimmten Handlungen, wie ist ihre Herangehensweise und was bewirken ihre kulturellen Praxen für den Einzelnen und die Gemeinschaft? Die Beantwortung dieser „qualitativen“ Fragen schafft die Basis für Erzählungen, die unser (gegenwärtiges) kulturelles Geschehen auch für die Nachwelt verstehbar machen. Vor allem aber werden im Kontext kollektiver Brauchhandlungen individuelle Sichtweisen transparent gemacht. Letztlich kann der Diskurs dieser Ergebnisse Inspiration für eine gelungene Gestaltung des persönlichen Lebens und des gemeinschaftlichen Miteinanders sein. Sie erlauben ein offenes Kulturverständnis als Grundlage für Toleranz und Vielfalt in unserer Gesellschaft. MARTINA EDLER Namensfestkerze. Foto: UMJ/ Viktoria Krenn (F 12027). 13

14 Immaterielles Kulturerbe als Forschungsgegenstand der Volkskunde Von Kulturerbe oder Tradition zu sprechen bedeutet, einen Bezug herzustellen zwischen einer Vergangenheit und einer Gegenwart. Dies ermöglicht die Wahrnehmung von Historizität und einer Geschichte, wozu jeweils auch die Wandlungen und überhaupt die Wandelbarkeit an sich gehören. Beim immateriellen Kulturerbe stehen kulturelle Ausdrucksformen im Mittelpunkt, bei denen die Kulturerbegemeinschaften in der Gegenwart aktiv sind und ihr überliefertes Wissen und Können an kommende Generationen weitergeben. Dazu zählen u. a. sprachliche Ausdrucksformen, darstellende Künste (Musik, Tanz, Theater), Bräuche und Feste, traditionelle Handwerkstechniken und Wissen um Natur. Im Rahmen des UNESCO-Übereinkommens zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes von 2003, dem Österreich 2009 beigetreten ist und seit 2010 auch ein Nationales Verzeichnis führt, sind zudem Fragen von Nachhaltigkeit, Zugänglichkeit, der Einhaltung der internationalen Menschenrechtsvereinbarungen sowie der Förderung kultureller Diversität zentrale Werte und Kriterien. Der volkskundliche Blick auf das immaterielle Kulturerbe ist ebenso vielfältig wie die kulturellen Ausdrucksformen. Dabei können sich die wissenschaftlichen Zugänge der Volkskunde bzw. der Fächer, die darauf aufbauen, wie die Empirische Kulturwissenschaft oder die Europäische Ethnologie, bereits auf einen großen Fundus an früheren Forschungsergebnissen beziehen. Das reicht von der neueren Brauchforschung, den Arbeiten zu HELMUT GROSCHWITZ BRÄUCHE & TRADITIONEN Der Brauch des Samsontragens im Bezirk Murau. Foto: Egger.

Weitere Informationen Bayerische Akademie der Wissenschaften Kommission für bayerische Landesgeschichte Institut für Volkskunde I https://kblg.badw.de/ institut-fuer-volkskunde.html populärer Musik („Volksmusik“), dem „Volksschauspiel“ oder Laientheater bis hin zur Handwerks- und Landwirtschaftsforschung, wie sie u. a. sehr anschaulich in den Freilichtmuseen sichtbar gemacht werden. Der Fokus richtet sich aber auch auf industriekulturelles und bergbauliches Erbe – bis hin zu moderneren urbanen, migrantischen oder popkulturellen Ausdrucksformen. Die Stärke der Volkskunde ist es, sowohl mit historischem Blick das Entstehen und Werden kultureller Praktiken quellenfundiert zu beleuchten – und auf der anderen Seite mit ethnografischen Methoden die heutigen Erscheinungen, ihre Bedeutungen und Sinnstiftungen für die Menschen zu erheben. Dabei werden auch die wiederholten Veränderungen, z. B. bei Bräuchen und Festen, sichtbar, die in der Volkskunde unter dem Schlagwort „Kontinuität und Wandel“ erfasst werden; nur was sich verändert, hat Bestand. Vieles, was „alt“ erscheint oder als „schon immer so“ inszeniert wird, ist oft jüngeren Datums. Und spannend wird dann die Frage, woher die Sehnsucht nach dem Alten und Überlieferten stammt, wer diese Etiketten und Inszenierungen zu welchem Zweck geschaffen hat und welche Wertvorstellungen damit verbunden sind. Denn Bräuche und Feste sind nichts Festes und Unverrückbares, sondern wurden immer wieder durch wirtschaftliche, religiöse oder soziale Notwendigkeiten verhandelt und angepasst. Solche Verhandlungen finden sich auch in der Gegenwart, aktuell etwa mit den Funkenfeuern in Vorarlberg und Tirol, bei denen am Funkensonntag teilweise menschenförmige Strohpuppen (Funkenhexen) verbrannt werden. Bei solchen Formen von „Contested Heritage“, umstrittenem Kulturerbe, gibt es keinen übergreifenden gesellschaftlichen Konsens über die Ausführungen, Symbole und Sinnstiftungen. Hier gilt es, durch Hintergrundwissen und das Erkennen des Bedeutungsgeflechts, das stets hinter kulturellen Praktiken steht, zu einem informierten Kulturerbediskurs beizutragen. HELMUT GROSCHWITZ Funkenfeuer in Vorarlberg. Foto: Wikimedia/Friedrich Böhringer. Denn auch wenn der Blick bei Kulturerbe und Traditionen immer wieder in die Vergangenheit auf das Er-Erbte gerichtet ist, so geht es – gerade im Sinne des UNESCO-Übereinkommens – doch stets um die Weitergabe an kommende Generationen. Dieser Zukunftsaspekt ist auch Orientierung für die heutigen Verhandlungen – oder auf die einfache Formel gebracht: Welches Wissen und Können, welche Werte möchten wir ver-erben?! 15

16 Auf dem Weg zur „Fleischweihe“, Kaindorf bei Leibnitz. Foto: Volkskundemuseum/Viktor Theiß (F 3615).

17 dokumentieren BRÄUCHE & TRADITIONEN

18 Brauchkultur gegenständlich und bildlich dokumentiert Bräuche und Rituale begleiten uns in wichtigen Phasen unseres Lebens. Mit ihren zeremoniellen Abläufen und symbolischen Ausdrucksformen geben sie Struktur und vermitteln Halt, dort, wo Übergangsphasen im Jahresablauf oder am Lebensweg mitunter Unsicherheiten erwecken. In jedem Fall schenken wir diesen besonderen Situationen mit den unterschiedlichsten Praxen Augenmerk. Auch ist ihre bedeutende Rolle vor dem Hintergrund der Gründungsphase volkskundlicher Forschung um 1900 zu verstehen. Im Zeitgeist von Romantisierung und Konservativismus waren sie für das Bildungsbürgertum als eines der Kanon-Themen des Faches über lange Zeit eine wichtige Konstante und zugleich ein unterstützender Hebel für volkskulturell motivierte Identitätsbildung. Von Viktor Geramb (1884–1958) als katholisch gesinntem Fachpionier, Volksbildner und Museumsgründer in der Steiermark ausgehend, wurde der Fokus insbesondere auf das Brauchgeschehen rund um den religiösen Jahres- und Lebenslauf gerichtet und damit der Grundstein für weitere Forschungstraditionen gelegt. Objekte zur Alltagsfrömmigkeit mit und ohne Bezug auf abergläubische Praktiken sowie zu besonderen Anlässen, wie etwa den Ritualen rund um die heiligen Sakramente oder den kirchlichen Festkreis, gewichteten somit auch die historische Sammlung des Volkskundemuseums und prägen sie bis zur Gegenwart. MARTINA EDLER/URSULA GRILNAUER BRÄUCHE & TRADITIONEN Faschingrenner in Pöllau am Greim. Foto: Volkskundemuseum/ Viktor Geramb (F 3222). Zur Sammlung des Grazer Volkskundemuseums

Weitere Informationen Volkskundemuseum am Paulustor/UMJ Servicestelle Medienarchiv: Ursula Grilnauer I www.volkskundemuseum-graz.at Verdichtet wird dieser inhaltliche Objektschwerpunkt durch umfangreiches Material an Bilddokumenten. Unter dem Gesamtbestand von 11.903 Fotos, 21.529 Dias und 3.621 Glasplatten erzählen viele über Advent- und Weihnachtsbräuche, geben Einblick in Faschingsveranstaltungen, den Osterfestkreis oder vermitteln Abläufe von Tauf-, Hochzeits- oder Begräbnisfeierlichkeiten und dergleichen. Als Forscher und Fotograf im Feld agierte neben Viktor Geramb in späteren Jahren vor allem Sepp Walter (1915–2005), der von 1963 bis 1980 die Leitung des Volkskundemuseums innehatte. Beiden sind zahlreiche Fotos, Letzterem vor allem eine Fülle an Dias zu verdanken. Doch auch andere Personen inner- und außerhalb des Museums, die sich der volkskundlichen Forschung verschrieben hatten, bereicherten den Datenbestand. Die Zuordnung ist leider nicht in jedem Fall gesichert möglich, doch lassen Handschriftenvergleiche oder Tagebucheinträge so manchen Urheber bzw. manche Urheberin der Forschungsaufnahmen identifizieren. Neben dem Brauchgeschehen bilden viele dieser Fotos Gebäude, Landschaften, Arbeitsabläufe und Geräte, Kleidung und Tracht, aber auch Menschen bei ihren Tätigkeiten in Freizeit und Sport ab. Der Blick war vorwiegend auf die Steiermark gerichtet, doch erzählen einige Bilddokumente ebenso von Forschungsfahrten etwa nach Slowenien, Kroatien, Dalmatien oder Ungarn und erweitern den transnationalen Sammlungsfundus. Je dichter die Beschreibungen auf den Fotorückseiten erfolgten, desto lebendiger können wir kulturelles Alltagsleben und frühere Wertvorstellungen nachvollziehen. Für die Gegenwart gilt es, sich auch mit der Dokumentation digitaler Aufnahmen zu beschäftigen. Seit 2021 werden diese ebenfalls in der Museumsdatenbank erfasst. Die Herausforderung der Zukunft wird es sein, große Datenmengen zu sichern und auch zugänglich machen zu können. MARTINA EDLER/URSULA GRILNAUER Erstkommunion. Foto: Volkskundemuseum/Sepp Walter (Dia 20684/F 10505). 19

20 KATHARINA KRENN BRÄUCHE & TRADITIONEN Schloss Trautenfels Der Mensch mit seinen Lebensäußerungen und seinem Lebensumfeld steht im Mittelpunkt der musealen Arbeit im Schloss Trautenfels. Partizipatives Arbeiten, Provenienzforschung und der regionale Schwerpunkt der Sammlung prägen das Museum seit der Gründung im Jahr 1959. Mit dem Auftrag, die Kultur und Natur des Bezirkes Liezen zu sammeln, zu bewahren, zu erforschen und zu vermitteln, ergibt sich ein breiter Fächer von Themenstellungen, die seit der Gründung des Museums in unterschiedlichen Formen und Möglichkeiten bearbeitet und bis heute dokumentiert werden: Es sind Aufzeichnungen zu kulturellen Ausdrucksformen – von Bräuchen und Ritualen, Handwerk, verschiedenen Berufsgruppen, vielem aus dem bäuerlichen Arbeitsleben, von Tätigkeiten im Alltag, der Nahrungszubereitung, vom Leben in und mit der Natur, landeskundliche Bestandsaufnahmen und Feldforschungen. Die Dokumentationen erfolgen seit den 1950er-Jahren nach den jeweils technischen Möglichkeiten in Form von Fotografien, Tonbandaufnahmen, Interviews, Filmaufnahmen und/ oder professionellen Videos. Das Fotoarchiv von Schloss Trautenfels umfasst Schwarz-Weiß-Fotos und Dias zur landeskundlichen, naturkundlichen und volkskundlichen Dokumentation des Bezirkes Liezen. Bedeutende Spezialsammlungen wie das Fotoarchiv von Albert Rastl und das Archiv von Franz Stadler beinhalten Materialien zu Bräuchen, bäuerlichem Leben, Salzbergbau, Almwirtschaft und Hausforschung. Für die Erforschung sind die Kombination von historischen und aktuellen Dokumentationen sowie teilnehmende Beobachtung und Kontextualisierung wesentlich, gerade wenn es sich um Arbeiten im Bereich des immateriellen Kulturerbes handelt. Nur Thomasnikolo, Gams bei Hieflau, 21. 12. 2023. Foto: Martin Huber. Museum für den Bezirk Liezen

21 KATHARINA KRENN durch kontinuierliches Forschen und Beobachten können Veränderungen und wichtige Entwicklungen sichtbar werden. Je nach unseren zeitlichen Möglichkeiten arbeiten wir daran, die bisher zum größten Teil deskriptiven Aufzeichnungen durch Interviews von Zeitzeuginnen und -zeugen sowie durch Recherchen in Archiven mit historischen Belegen zu erweitern, zu ergänzen und zugänglich zu machen. Hervorzuheben ist das über LEADER geförderte Projekt des Vereins Schloss Trautenfels „Erwachsenenbildung im Schloss Trautenfels in den Jahren 2003 bis 2006“. Ein Teil dieses Projekts, das unter der Leitung von Volker Hänsel und Wolfgang Otte (†) von Michael J. Greger umgesetzt wurde, war die „ARGE Bräuche im Bezirk Liezen“ zur Erhebung neuer und überlieferter Bräuche im Bezirk Liezen. Daraus entstand das Buch samt CD „Brauch und Jahr. Neue und überlieferte Bräuche im Bezirk Liezen“, herausgegeben vom Verein Schloss Trautenfels im Jahr 2008. Es gilt als Nachschlagewerk für Bräuche im Bezirk Liezen. Im Landschaftsmuseum ist der Themenraum „Von Arbeit und Brauch“ diesem vielschichtigen Thema gewidmet. Figurinen aus dem Nikolospiel Bad Mitterndorf (Schab, Krampus und Habergeiß), von den Thomasnikolo Gams bei Hieflau (Thomashutze), vom Glöcklerlauf Stainach (Glöckler) und vom Fasching Bad Aussee (Flinserl) zeigen exemplarisch und eindrucksvoll die Vielfalt von Bräuchen in der alpenländischen Region. Entsprechende Videos stehen für die Besucherinnen und Besucher ebenso zum Abrufen zur Verfügung. Zahlreiche Bereiche zum Thema Bräuche wurden recherchiert, dokumentiert und aufbereitet, um sie in Sonderausstellungen wie z. B. „Die Macht der Maske“ (2007) oder „Wald und Mensch. Eine Geschichte in 100 Positionen“ (2014–2016) kuratorisch einzubinden. In der Sonderausstellung „Mensch, Welt und Ding. Eine Region erzählt“ (2024–2025) wurde eine Figurengruppe der Thomasnikolo in Gams bei Hieflau in Kombination mit der multimedialen Präsentation, aufgezeichnet am 21. Dezember 2023, präsentiert. Die Zeitschrift „Da schau her. Die Kulturzeitschrift aus Österreichs Mitte“ wird vom Verein Schloss Trautenfels herausgegeben und erscheint seit dem Jahr 1980 viermal pro Jahr. Sie versteht sich mittlerweile als Lexikon zur Kultur und Natur des Bezirkes Liezen und bietet die Möglichkeit, unter anderem Dokumentationen zu den Themen Bräuche und Rituale in unterschiedlicher Form zu veröffentlichen. Von besonderer Bedeutung sind und bleiben ein engagiertes Team und die Zusammenarbeit mit den Menschen in der Region des Bezirkes Liezen. Ausstellungsansicht „Von Arbeit und Brauch“. Foto: UMJ/Ernst Reichenfelser. Weitere Informationen Schloss Trautenfels/UMJI I www.schloss-trautenfels.at

22 BRAUCHen wir das noch? ELISABETH SCHLÖGL BRÄUCHE & TRADITIONEN Objekte und Dokumente zu Bräuchen und Ritualen in Museen und Sammlungen in den steirischen Regionen „Ein Brauch ist etwas von gestern, was wir heute noch brauchen“, formulierte einmal salopp ein Museumsmitarbeiter in einem persönlichen Gespräch. Was nehmen wir also aus der Vergangenheit mit und bewahren es im Museum? Weder die Pfingstkrapfen aus dem Sölktal noch das freche jugendliche Treiben, das Pfingstlucken in Weinburg am Saßbach, lassen sich in einer Sammlung bewahren, oder? Rund 320 steirische Museen ermöglichen diesen Brückenschlag: Sie konservieren nicht nur materielle Objekte, sondern sammeln Erinnerungen, Dokumente, Erzählungen. In ihren Beständen finden sich zahlreiche Zeichen- und Bedeutungsträger, die auf Feste, Rituale oder vergangene Lebensweisen und Herausforderungen verweisen und für gegenwärtiges Handeln inspirieren. Der „Faschingbrief“ im Kammerhofmuseum Bad Aussee Ein bemerkenswertes Beispiel für die Verbindung von Objekt und immaterieller Praxis sind die „Faschingbriefe“ im Kammerhofmuseum Bad Aussee. Der Ausseer Fasching, aufgenommen ins Nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes, geht weit über bunte Maskeraden hinaus. Der „Faschingbrief“ dokumentiert die humorvolle, oft gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit lokalen Begebenheiten. Er wird alljährlich meist mit musikalischer Begleitung und handgezeichneten Bildern in Gaststätten vorgetragen. Das Kammerhofmuseum bewahrt Video-, Audioaufnahmen, Briefe und Bilder davon und macht so den Brauch auch für kommende Generationen erfahrbar. Faschingbrief mit Hans Gielge (1901–1970), ehemaliger Schul- und Museumsdirektor in Bad Aussee, 1953. Foto: Kammerhofmuseum Bad Aussee/Peter Grill.

ELISABETH SCHLÖGL Glück auf! Die gusseiserne Bergmannsfigur, gefertigt in der Eisengießerei Gußwerk bei Mariazell, markierte einst einen Stolleneingang im Bergbaugebiet Leoben. Heute bewahrt das MuseumsCenter Leoben dieses Objekt als bedeutenden Zeugen regionaler Montangeschichte und der damit verbundenen Bräuche. Bis vor Kurzem verließ die Figur jährlich am 4. Dezember das Museum und wurde in die Barbarafeierlichkeiten in und um Leoben eingebunden. Die Bräuche rund um die hl. Barbara als Schutzpatronin des Bergbaus waren einst Ausdruck des Dankes und der Bitte um Schutz im gefährlichen Bergbau und hatten eine gemeinschaftsbildende Aufgabe. Die Rolle des Bergbaus wandelte sich vom Rohstoffabbau und von der Erwerbsarbeit hin zur forschungs- und innovationsgetriebenen Bergbauindustrie. Die Feierlichkeiten erfüllen wohl immer noch eine gemeinschaftsbildende Aufgabe: montanhistorischer Rundgang mit Knappentänzen und Liedern, Barbaramesse in der Stadtpfarrkirche, Andacht in der Barbarakapelle und Ledersprung (Erstsemestrige der Montanuniversität springen bei diesem Initiationsritus über ein Arschleder und werden so symbolisch in die Gemeinschaft der Bergleute aufgenommen) sowie die Barbarafeier im Stadttheater mit Gedichten und musikalischen Beiträgen von Chören und der Bergkapelle Seegraben. Fazit Nicht jeder Brauch erscheint heute zeitgemäß oder nachvollziehbar, dennoch bleibt das Interesse daran, wie und warum sich bestimmte Bräuche entwickeln, wandeln und weiterleben. Auch wenn nicht alle Praktiken die Zukunft überdauern werden, braucht der Mensch feste Rituale: Sie strukturieren den Alltag und schaffen in lebensverändernden Situationen – wie bei Geburt, Krankheit oder Abschied – Orientierung. Welche Traditionen, Bräuche und Rituale künftig gebraucht werden, ist abhängig von gesellschaftlichen Entwicklungen. Umso wichtiger ist die kontinuierliche Arbeit der Museen und Sammlungen, die Bräuche und die damit in Verbindung stehenden Objekte und deren Geschichten zu bewahren, zu dokumentieren und zu vermitteln. Museen sind nicht bloß Aufbewahrungsorte, sondern attraktive Räume des Austauschs – zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Mensch und Mensch, Ding und Mensch. Mit Gegenständen, Fotos, Videos, Zeitzeugenberichten ermöglichen Museen Reflexion, Weitergabe und Diskussion von immateriellem und materiellem Kulturerbe für kommende Generationen. Gusseiserne Bergmannsfigur, 19. Jahrhundert. Foto: Kulturquartier Leoben. Weitere Informationen Museumsforum Steiermark /UMJ I www.museumsforum-steiermark.at 23

24 Erzherzog Johanns Steiermark HANS-PETER WEINGAND ERFORSCHEN BRÄUCHE & TRADITIONEN Quellen zu Sitten und Bräuchen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Die Steiermark verfügt über einen herausragenden historischen Quellenbestand zu volkskundlich relevanten Themenkreisen, da Erzherzog Johann (1782–1859) ab 1810 für eine statistische Landesaufnahme neben Erhebungen zu wirtschaftlichen Belangen und zur Bevölkerungsstruktur auch Fragen zu „religiös-sittlichen“ Themen ausschicken ließ, was in den 1830er-Jahren wiederholt wurde. Die umfangreiche Sammlung der Antworten mit 1350 Heften, die nach Orten gegliedert sind, gelangte in den Nachlass seines Sekretärs Georg Göth (1803–1873) und befindet sich heute im Steiermärkischen Landesarchiv. Viktor Geramb (1884–1958), der 1913 das Volkskundemuseum in Graz gründete, ließ von diesem, im Landesarchiv deponierten Material ab 1915 von seinen Studentinnen und Studenten Abschriften anfertigen. Ab 1930 wurden diese, versehen mit 380 Stichwörtern der damaligen Internationalen volkskundlichen Bibliographie, auf Karteikarten übertragen, die sich heute im Volkskundemuseum am Paulustor befinden. Abgelegt mit Schlagwörtern wie Aberglauben, Charaktereigenschaften (wodurch man viel über Stereotypen und Vorurteile erfährt), Feste, Musik, Nahrung, Tracht, Unterhaltung, Wetterregeln, Wohnen usw. wird der riesige handschriftliche Bestand überhaupt erst zugänglich und für spezielle Fragestellungen nutzbar. Die Volkskundlerin Lisl Waltner (1950–2022) edierte in den 1980er-Jahren einen Bruchteil dieser Informationen über Sitten und Bräuche zur Zeit Karteikästen mit den Abschriften aus der Göth’schen Sammlung im Archiv des Volkskundemuseums. Foto: Eva Heizmann.

HANS-PETER WEINGAND Erzherzog Johanns und publizierte dies 1982 in ihrem Buch „Der gemeine Steirer“. Manches aus den alten Berichten ist uns heute noch vertraut: „Zu Ostern bekamen die Kinder von den Taufpatinnen oder -paten rot gefärbte Eier, in manchen Gegenden (so in Göss 1811) bereits am Gründonnerstag.“ Manches jedoch ist uns fremd: „Starb in Leoben (1812) ,wer immer aus der beßeren Klasse‘, so wurde der Leichenzug von Armen angeführt, die dafür ein Almosen erhielten.“ Die Schilderungen aus der Zeit Erzherzog Johanns zeigen auch, dass Sitte und Brauch stets Veränderungen erfahren haben: „Am NikolausAbend wird zwar nicht mehr mit solchem Unfug, aber doch noch immer der hl. Nikolaus und der Bartl zum Schrecken der Kinder gebraucht“, wird 1813 aus Fohnsdorf berichtet. Auf diesen „Unfug“, nämlich den Auftritt von „ein Paar Teufeln, die die Kinder erst noch vollends in höchsten Schrecken setzten“, wurde nunmehr verzichtet. Auch in den Schulen änderten sich die Sitten: Aus Judenburg wird 1812 berichtet, dass früher „ungehorsame unfleißige und böse Kinder“ von verkleideten Krampussen und dem hl. Nikolaus erschreckt und gezüchtigt wurden: mit Eselskronen, Stäbchen im Mund und anderen hohen Strafen. Aus einem Bericht von 1840 wird ersichtlich, dass es auch für Lehrer Strafen geben konnte. So wurde mittels Unterschriftenlisten und einer Bürgerinitiative ein prügelnder Hilfslehrer in Rottenmann entfernt, da die Kinder nicht mehr zum Schulbesuch zu bewegen waren. In den letzten Jahren wurde der Bestand zu den Themen Bewertung von Sittlichkeit, Singen in der Freizeit, Widerstand gegen die Pockenimpfung und deren Motive kulturwissenschaftlich und historisch ausgewertet. Diese Beispiele sollen die Bandbreite des Materials dokumentieren. Die slowenische Forschung hat jene Unterlagen, die die Untersteiermark betreffen, längst übersetzt und veröffentlicht. Mit einem Digitalisierungsprojekt soll dieses maschinschriftlich verfasste und verschlagwortete Material in nächster Zeit zugänglich und verwendbar werden, wie es Geramb schon vor 110 Jahren plante. Weitere Informationen Volkskundemuseum am Paulustor/UMJ I www.volkskundemuseum-graz.at Hans-Peter Weingand I www.weingand.online Karteikarte zu Hochzeitsbräuchen in Leoben, 1812. Foto: Eva Heizmann. 25

26 Abbildung von Brauchformen in der Volksmusikdatenbank DORIS GRASSMUGG BRÄUCHE & TRADITIONEN Im Datenverbund der Österreichischen Volksliedwerke www.volksmusikdatenbank.at findet sich neben vielen Kategorien zur Spezifikation der Archivbestände der zehn Volksliedarchive in Österreich und Südtirol auch die Kategorie „Brauchformen“. Lange bevor dieser Verbund online gehen konnte, beschäftigte sich bereits eine Expertenrunde unter Leitung der Musikwissenschaftlerin Gerlinde Haid (1943–2012) und dem Volksliedforscher Walter Deutsch (1923–2025) mit der Klassifikation für diese Datenbank. Die Voraussetzung für eine gemeinsame, überregionale Datenbank bildete das Archivprogramm INFOLK. 1991 erschien dazu die Broschüre „INFOLK. Informationssystem für Volksliedarchive in Österreich.“ Bereits dieses Regelwerk enthielt die Kategorie „Brauchform“ – gegliedert in Jahres- und Lebenskreislauf. In den letzten Jahren wurde u. a. auch das „Brauchformen-Tool“ der Volksmusikdatenbank von einer Archivarbeitsgruppe überarbeitet, zusammengefasst und neu gegliedert. Die Redaktion der Volksmusik- datenbank liegt beim Österreichischen Volksliedwerk. Das vordergründige Ziel war, eine leicht verständliche Struktur zu schaffen, um die Suche nach Belegen oder Notenmaterial zu einem bestimmten Brauchgeschehen für den Nutzer zu vereinfachen. So wurden Überbegriffe, Unterbegriffe und Verweise geschaffen. Meist sind Lieder, Fotos etc. mit den einzelnen Brauchformen verknüpft. Teilweise wurden den Bräuchen auch Literaturhinweise zur Erklärung oder für eine weiterführende Forschung hinzugefügt. Die Unterscheidung in Lebenslauf und Jahreskreis wurde beibehalten und bildet eine zusätzliche Informationsebene. Anhand von zwei Beispielen soll diese Kategorisierung hier verdeutlicht werden. a) Das erste Beispiel bezieht sich auf eine Brauchform im Lebenslauf, nämlich Rituale rund um den Tod. Dazu sind drei Unterbegriffe angeführt, denen jeweils mehrere Verweise zugeordnet sind.

DORIS GRASSMUGG In der Volksmusikdatenbank (Recherche in/über Brauchformen) kann über jeden dieser Begriffe gesucht werden – je differenzierter man die Anfrage stellt, umso genauer sind die Ergebnisse. Interessant gestaltet sich auch die Suche anhand einer einzelnen Brauchform, da man durch die angeführten Verweise eine sehr umfassende Übersicht über Österreichs Brauchformen bekommt und vielleicht das eine oder andere Element entdeckt, das man bisher noch nicht gekannt oder bedacht hat. Diese Querverweise erschienen den Archivmitarbeitern sehr wichtig, da ähnliche Brauchformen teilweise unterschiedliche Dieses Tool kann jederzeit um regionale Besonderheiten, aber auch durch neu entstandene Brauchformen erweitert werden. Ein Blick in das Tool zeigt die große Vielfalt an gegenwärtigen und vergangenen, manchmal nicht mehr praktizierten Brauchformen, die uns in der Archivarbeit immer wieder begegnen. Weitere Informationen Volksmusikdatenbank der Volksliedarchive in Österreich & Südtirol I www.volksmusikdatenbank.at Steirisches Volksliedarchiv I www.volkskultur-steiermark.at/ volksliedarchiv Totenlied „Jetzt muß ich aus mein Haus“. Quelle: StVLA/HS 656. Brauchform TOD (Gattung: Lebenslauf) Unterbegriff Vor_dem_Begräbnistag Verweise: Krankensalbung, Totenwache/ Leichhiatn/Wachtn, Leichbeten/ Leiche hüten, Rosenkranz beten/ Abschied beten/Seelenrosenkranz, Letzte Ölung/Spendung der Sterbesakramente/Versehgang, Hausaufbahrung/Aufbahrung, Totenglocke/Sterbeglocke/ Zügenglocke, Öffnen der Fenster, Totenweiblein/Seelagrutsch/Seelenlicht Unterbegriff Begräbnistag Verweise: Trauerzug, Beisetzung/Bestattung, Begräbnis, Leichenschmaus/ Totenmahl, Leich, Feuerbestattung, Kondolieren, Sargtragen, Sterbebild Unterbegriff Nach_dem_Begräbnistag Verweise: Urnenbeisetzung, Totenehrung, Trauerzeit, Friedhofsgang, Heldenehrung, Totengedenken, Kranzniederlegung Brauchform PFINGSTEN (Gattung: Jahreskreis) Verweise: Pfingst-Dult, Pfingstlotter, Pfingstritt/ Königsreiten, Pfingstkönig/ Pfingstkönigsingen, Kranzelreiten, Kufenstechen, Pfingstschnalzen, Heilig-Geist-Fangen, Pfingstringen, Heilige-Geist-Krapfen, Pfingstlucken regionale Bezeichnungen haben und diese über das vorliegende System nun sichtbar werden. b) Das zweite Beispiel stammt aus dem Jahrlauf: das Pfingstfest. In diesem Fall sind keine Unterbegriffe angeführt. Über die Verweise werden wiederum die unterschiedlichen regionalen Bezeichnungen bzw. Brauchformen sichtbar. Zusätzlich kann mit einem fachlichen Verweis der Brauch kurz erklärt werden – in diesem Fall ist „50 Tage nach Ostern“ eingetragen. 27

28 Segnung der Speisen am Karsamstag – „Fleischweihe“, 2024. Foto: Eva Heizmann.

29 sichtbarmachen BRÄUCHE & TRADITIONEN

30 Aufbau der digitalen Plattform „BRAUCHforum Steiermark“ EVA HEIZMANN BRÄUCHE & TRADITIONEN Warum stellen wir einen Maibaum auf? Seit wann gibt es die Tradition der Erntekrone? Was unterscheidet Krampus und Perchten? Und weshalb ist hierzulande zu Weihnachten als Gabenbringer das Christkind und nicht der Weihnachtsmann verbreitet? Solche und ähnliche Fragen erreichen uns in der Servicestelle „Volkskultur und kulturelles Erbe“ der Volkskultur Steiermark GmbH immer wieder. Sie zeugen vom Interesse der Bevölkerung an unseren Bräuchen und Traditionen. In der Bibliothek des Steirischen Volksliedarchivs verfügen wir über eine umfangreiche Sammlung an Büchern und Fachaufsätzen, die es uns erlaubt, viele dieser Anfragen fundiert zu beantworten. Heute jedoch gilt zumeist das Internet als erste Anlaufstelle für derartige Fragen. Hier findet man eine Fülle an Informationen über Bräuche, und auch die Künstliche Intelligenz liefert mittlerweile umfassende Texte zur Geschichte einzelner Traditionen. Doch wie verlässlich sind diese Quellen? Immer wieder wird hier auf Erkenntnisse aus den Anfängen der Brauchforschung zurückgegriffen, als Bräuche als Relikte einer vergangenen Zeit definiert wurden und man bei allen volkskulturellen Ausdrucksformen nach Aufstellen des Maibaums am 30. April 2022 in Dobl. Foto: Landjugend Dobl.

EVA HEIZMANN Weitere Informationen Volkskultur Steiermark GmbH Servicestelle „Volkskultur und kulturelles Erbe“ & Steirisches Volksliedarchiv I www.volkskultur-steiermark.at urzeitlichen Wurzeln suchte. Des Weiteren findet man online oftmals wenig Informationen zu regionalen Besonderheiten oder lokalen Ausformungen. Daher startet die Volkskultur Steiermark GmbH im Jahr 2026 mit dem Aufbau der Online-Plattform „BRAUCHforum Steiermark“. Diese digitale Datenbank, die auf der Website www.volkskultur-steiermark.at verfügbar sein wird, soll Bräuche in der Steiermark sichtbarer machen, die gegenwärtige Brauchpraxis aufzeigen, fundiertes Hintergrundwissen auf Basis zeitgemäßer Forschung vermitteln und Belege sowie Dokumente zu einzelnen Brauchhandlungen miteinander vernetzen. In den letzten Jahren wurden im Zuge zahlreicher Digitalisierungsinitiativen viele Archivalien und Fachbeiträge online zugänglich – etwa im Kulturpool, in der Österreichischen Mediathek oder im Volkskundemuseum Wien. Darunter befinden sich auch zahlreiche Objekte, die das steirische Brauchgeschehen dokumentieren. Durch gezielte Verlinkungen soll dieses Material im „BRAUCHforum Steiermark“ leicht auffindbar werden. Zusätzlich ist geplant, auf vorhandenes Brauchwissen und entsprechende Objekte in Museen und Kulturinstitutionen der Steiermark hinzuweisen. Auf diese Weise soll ein kompaktes, gut belegtes Nachschlagewerk entstehen, das Bräuche nicht nur beschreibt, sondern auch ihren Wandel, innovative Zugänge und sogar kontroverse Diskussionen sichtbar macht. Da das Themenfeld breit gefächert und die Materialfülle groß sind und sich die Brauchforschung laufend weiterentwickelt, ist das „BRAUCHforum Steiermark“ bewusst als „Work in Progress“ konzipiert – eine Plattform, die kontinuierlich wachsen und ergänzt werden wird. Und die Bevölkerung ist herzlich zur Mitarbeit eingeladen. Gerade zu kleinräumig verankerten Bräuchen oder zu jenen, die regional in vielfältigen Formen gelebt werden, fehlen uns oftmals genaue Informationen. Je mehr Hinweise, Berichte und Bildmaterial wir erhalten, umso facettenreicher und lebendiger kann die Darstellung werden. Wir freuen uns daher auf eine spannende gemeinsame Arbeit an einem digitalen Lexikon der steirischen Bräuche und Traditionen – einem Projekt, das unser kulturelles Erbe dokumentiert, sichtbar macht und zugleich in die Zukunft trägt. Frisch- und G’sundschlagen am Tag der unschuldigen Kinder (28.Dezember). Foto: Eva Heizmann. 31

32 „Do bin i her“ Volkskulturelle Entdeckungsreisen durch die Steiermark PAUL REICHER BRÄUCHE & TRADITIONEN Im Zwei-Wochen-Rhythmus versuchen wir, das Team des ORF Landesstudios Steiermark, unter dem Titel „Do bin i her“ in der Sendung „Steiermark heute“ zu zeigen, wie und wo das Steirerherz schlägt. Schmiedet sich der steirische Hufschmied auch sein Glück selber, wie glücklich macht das Singen im Chor? Wir durften schon erleben, wie ein steirischer Hochzeitskrapfen schmeckt, wie steirisches Leder für die Lederhose riecht und dass die Blasmusik auch zu rocken vermag. Wir durften auch schon in so manchem Heimatmuseum staunen und bemerkten dabei, wie erstaunlich oft es gelang, den Bogen aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu spannen und so einen festen Stand für die Zukunft zu bieten. Sinnbildlich dafür stehen auch die vielen Protagonistinnen und Protagonisten aus allen Generationen. Nicht selten vereint sie das gemeinsame Ausüben eines Brauches oder einer Leidenschaft, die man sich teilt: Wenn der junge Krampus beispielsweise mit dem erfahrenen Nikolaus durch Bad Mitterndorf zieht oder der kleine Trompeter neben seinem Opa sitzt, der in der Musikkapelle die Tuba spielt. Oft ist zu hören, wie bedeutend unsere Volkskultur sei. Bei jedem Dreh spüren wir, welche Bedeutung sie für die Menschen hat, die diese Volkskultur leben. Und dennoch ist deren Erhalt keine Selbstverständlichkeit, in einer Zeit mit einer unüberschaubaren Fülle an digitalen Ablenkungen und Verführungen. Wie damit umgehen? Wie Innovation mit Tradition verknüpfen? Aus der Beständigkeit und Verwurzelung unserer Volkskultur ist auch eine Klugheit erwachsen, um in Zukunft auf solche Fragen Antworten zu finden. Inzwischen ermöglichen die Steirische Volkskultur GmbH und der ORF Steiermark bereits das dritte Jahr diese „Do bin i her“-Beitrag über das Nikolospiel in Bad Mitterndorf, 2024. Foto: ORF Steiermark.

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