11 Einen entscheidenden Schritt zur Institutionalisierung der Volkskunde in der Steiermark setzte Viktor Geramb (1884–1958), der 1913 das Volkskundemuseum in Graz gründete. Er widmete sich intensiv der Haus- und Trachtenforschung und bereiste für seine Sammeltätigkeit die gesamte Steiermark. Auf diesen Forschungsfahrten zeichnete er u. a. auch Bräuche auf und dokumentierte sie fotografisch. Geramb, der ebenso im Heimatschutz und der Volksbildung verankert war, sah schon bald eine Notwendigkeit, seine Forschungsergebnisse mit praktischen Anregungen zur Fest- und Feiergestaltung zu verbinden. Sein 1926 erschienenes Buch „Deutsches Brauchtum in Österreich“ verstand er als Handbuch „zur Kenntnis und zur Pflege guter Sitten und Bräuche“. Über viele Jahrzehnte blieb das Volkskundemuseum in Graz die zentrale Anlaufstelle zur Dokumentation vergangener und gegenwärtiger Brauchpraxis in der Steiermark. Ergänzend übernahm das Museum im Schloss Trautenfels, das 1959 gegründet wurde, diese Funktion für die Region Liezen. Unter den Volkskundlerinnen und Volkskundlern, die sich in der Steiermark mit Bräuchen und Traditionen befassten, sind u. a. Leopold Kretzenbacher (1912–2007), Hanns Koren (1906–1985), Sepp Walter (1915–2005) und Roswitha Orač-Stipperger zu nennen. Für die Region Liezen des Weiteren Karl Haiding (1906–1985), Volker Hänsel und in jüngerer Zeit Michael J. Greger, Wolfgang Otte (1958–2024) sowie Katharina Krenn. Auch zahlreiche Regional- und Heimatforscher sowie kleinere Museen tragen zur Dokumentation lokaler Brauchformen bei. Heute ist der Zugang zur Brauchforschung von der Bedeutung der Bräuche im gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext gekennzeichnet. Während die wissenschaftliche Volkskunde vor rund 100 Jahren noch darum bemüht war, kulturhistorische Kontinuitäten „von der Urzeit bis heute“ nachzuzeichnen, stehen mittlerweile die gelebte Praxis und die gegenwärtige Relevanz von Traditionen im Mittelpunkt. Neben überlieferten bäuerlichen Formen werden auch neue Ausdrucksweisen der Fest- und Feierkultur sowie der gesellschaftlichen Interaktion untersucht. Der von der UNESCO geprägte Begriff des „Immateriellen Kulturerbes“, der auch Bräuche und Rituale umfasst, hat zudem dazu beigetragen, dass tradierte Praktiken aktuell aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven betrachtet und reflektiert werden. EVA HEIZMANN Viktor Geramb beim Dokumentieren volkskultureller Objekte und Phänome auf seinen Sammel- und Forschungs- fahrten. Foto: Volkskundemuseum (F 5704). Weiterführende Literatur Michael J. Greger: Kleine Geschichte der Brauchforschung und Brauchbeobachtung im Bezirk Liezen, in: Brauch und Jahr. Neue und überlieferte Bräuche im Bezirk Liezen, CD-ROM 2007.
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