CRISTINA BIASETTO Streuobstanbau. Dabei versteht sich das Verzeichnis nicht als Auszeichnung, sondern als Instrument eben dieser Sichtbarmachung und Anerkennung. Das Verzeichnis versteht sich ebenso nicht als Festschreibung. Denn immaterielles Kulturerbe ist von Umwelteinflüssen geprägt und unterliegt deshalb kontinuierlicher Adaptierung. In dieser Adaptierung spiegeln sich auch gesellschaftliche Fragen wider – neben sozialen auch etwa ökologische. So zeugt beispielsweise das über Generationen tradierte Wissen um Lawinengefahren (seit 2016 im Verzeichnis) davon, wie überliefertes Wissen über die Natur immer wieder neu gedacht und angepasst werden muss, um wirksam zu bleiben. Gleichzeitig können traditionelle Bewässerungssysteme (seit 2018 und 2021 im Verzeichnis) mit ihrem ressourcenschonenden Umgang mit Wasser Antworten auf heutige Herausforderungen liefern, gerade in Zeiten zunehmender Trockenheit. Diese Beispiele zeigen, dass immaterielles Kulturerbe mehr ist als Folklore oder nostalgisches Festhalten am Alten. Es verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und zeigt, dass kulturelles Erbe nicht nur in Museen bewahrt wird, sondern im Alltag lebendig bleibt – oft im Kleinen und fast unbemerkt. Auf Erfahrungswissen basierende und sich stetig wandelnde Praktiken können gesellschaftliche Herausforderungen sichtbar machen und kreative Lösungen eröffnen. Die Listen können also auf zwei Ebenen Sichtbarkeit schaffen: Einerseits werden die vielfältigen Praktiken auf nationaler und internationaler Ebene präsentiert, andererseits lenken die Eintragungen in den Listen den Blick auf gesellschaftliche Themen, Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze. Die UNESCO betont genau diese letztgenannten Dimensionen immer stärker: immaterielles Kulturerbe als Ressource für nachhaltige Entwicklung, Bildung und gesellschaftlichen Dialog. Sie betont auch, dass die Erhaltung lebendiger Praktiken nicht mit einer Listung endet – im Gegenteil. Die Aufnahme in ein Verzeichnis ist der Anfang eines kontinuierlichen Prozesses, der zur Reflexion, aktiven Auseinandersetzung und langfristigen Unterstützung anregen soll. In diesem Sinne setzt die Österreichische UNESCO-Kommission ein Projekt zur digitalen Sichtbarmachung der Einträge des Nationalen Verzeichnisses um. Ziel ist, immaterielles Kulturerbe in den Kulturpool – die österreichweite digitale KulturgutDatenbank – zu integrieren. Diese Plattform vereint Sammlungen unterschiedlichster Institutionen (wie auch Museen), berücksichtigte bislang jedoch fast ausschließlich materielle Bestände. Gemeinsam mit Partnern wie dem Verein Wikimedia Österreich, der u. a. einen jährlichen Fotowettbewerb zu immateriellem Kulturerbe organisiert, werden neue digitale Wege beschritten, um dieses Erbe für Forschung, Bildung und die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und seine Sichtbarkeit weiter zu stärken. Weitere Informationen Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes Nationales Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes Kulturpool. Projekt zur Sichtbar- machung von immateriellem Kulturerbe 35
RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2NDc=