9 wenn dies nur schemenhaft erfahrbar ist. Diese Rituale und Bräuche sind oft an Übergängen im individuellen wie auch gesellschaftlichen Leben angesiedelt, zielen auf die Vermittlung von Tradition auf Zukunft hin und bieten dadurch Halt. So wird eine Möglichkeit eröffnet, das auf den ersten Blick Unbegehbare tastend begehbar zu machen. Im Rückgriff auf das kulturelle Gedächtnis werden damit Spuren für Bewältigung des scheinbar nicht zu Bewältigenden gelegt, Spuren, die dann begangen werden müssen. Denn es handelt sich dabei, wie etwa beim Nikolausbrauch, nicht um eine bloße Erinnerung an das, was geschah, sondern es geht um ein vergegenwärtigendes Erinnern, also darum, in heutigen Verhältnissen das, was damals durch Nikolaus geschah, zur Geltung zu bringen, in den heutigen Umständen und mit heutigen Mitteln. Bräuche sind damit nicht einseitig rückwärtsgewandt, sondern sie sprechen eine menschliche und gesellschaftliche Tiefenschicht an, Wurzeln, aus und mit denen man wachsen kann. Sie sind nach dem Wort von Hanns Koren „Heimat ist nicht Enge, sondern Tiefe“ Elemente von Beheimatung und Geborgenheit. Sie schaffen Erinnerungsstruktur, aber bieten auch Hoffnungspotenzial in der Eröffnung von Zukunft. Dabei sind Rituale der Gefahr der Verengung und Erstarrung ausgesetzt, oder einer Perversion in kommerzialisierte Folklore. Wenn Symbole als ein Hinweis des Zusammenfallens einer konkreten Sache oder Handlung mit einer tieferen dahinterliegenden Bedeutung zur Sache gemacht werden, wandeln sie sich nur zu leicht in eine zwingende Vorgabe, die nicht Freiheit ermöglicht, sondern Zwang bedeutet und in Magie abzugleiten droht. Wie der Wirklichkeit eine Uneindeutigkeit eigen ist, so auch den Ritualen und Bräuchen. Wenn diese Offenheit des Verweises eine Einforderung der Verwirklichung eines starren Weges wird, führt das Ritual zur Stabilisierung der Vergangenheit, nicht zur Erneuerung in Gegenwart und Zukunft. Diese Erneuerung auf dem Boden des kollektiven Gedächtnisses wird aber gerade durch lebendige Bräuche erreicht. LEOPOLD NEUHOLD Krampus und Nikolaus. Foto: Öblarner Krampusgruppe.
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