LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE - Die steirischen Männertrachten

LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE Die steirischen Männertrachten

IMPRESSUM IMPRESSUM | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 2 IMPRESSUM Eigentümer und Herausgeber: Volkskultur Steiermark GmbH Sporgasse 23, 8010 Graz office@volkskultur.steiermark.at www.volkskultur.steiermark.at Redaktion: Hubert Fink sowie Monika Primas, Evelyn Kometter und Eva Heizmann Illustrationen: Christian Seirer / Gemini Labs GmbH, St. Radegund bei Graz Cover, Satz und Layout: Gemini Labs GmbH, St. Radegund bei Graz Männertracht am Cover: Altleobner Fotos (wenn nicht anders angegeben): Ulrike Rauch Lektorat: Rosemarie Konrad Druck: Medienfabrik Graz GmbH, Graz Das Nachschneidern und Tragen der abgebildeten Männertrachten ist nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. Sollten Sie über weitere Informationen zu einzelnen Männertrachten bzw. zu ihrer Entstehungsgeschichte verfügen, würden wir uns – zur Vervollständigung unseres Datenarchivs – über die Übermittlung dieser Angaben an die Volkskultur Steiermark GmbH freuen. Lampas, Gams und Schneiderfliege: typische Auszierform der steirischen Männertracht © Volkskultur Steiermark 2015 Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Medieninhabers reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Im Sinne der Gleichstellung von Frauen und Männern im Bereich der Sprache wurde weitgehend versucht, geschlechtergerechte Formulierungen zu verwenden. ISBN 978-3-9503747-2-8

INHALTSVERZEICHNIS LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | INHALTSVERZEICHNIS SEITE 3 INHALTSVERZEICHNIS GRUSSWORTE Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer: Steirische Tradition und regionale Wertschöpfung Seite 6 Hubert Fink: Trachtenschneiderei als Leidenschaft Seite 7 Monika Primas: Froschgoscherl trifft Schneiderfliege Seite 8 Friedrich Jeitler: Das edle Handwerk des Herrenkleidermachers Seite 9 GEDANKEN Franz Harnoncourt-Unverzagt: Auf den Spuren Erzherzog Johanns Seite 11 Heinz Klinger: Die Oberlandler – Tracht und Tradition Seite 13 GESCHICHTE & ENTWICKLUNG Roswitha Oracˇ-Stipperger: Steirische Männertracht – gesammelt, erforscht und erneuert Seite 15 Hubert Fink: Der kontinuierliche Erneuerungsweg der steirischen Männertracht Seite 21 Evelyn Kometter: Tracht & Blasmusik Zur Einkleidung der steirischen Blasmusikkapellen Seite 27 LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE Die steirischen Männertrachten

INHALTSVERZEICHNIS INHALTSVERZEICHNIS | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 4 Monika Primas: Trachtvolle Kompositionen Volksmusik & Steirerg’wand: Harmonischer Einklang oder stilbewusster Kontrapunkt? Seite 33 HANDWERKSKUNST Hubert Fink: Die steirische Männertracht in Maßfertigung Seite 39 Josef M. Leichtfried: Der Loden und seine Entwicklung Seite 47 Robin Schlüßlmayer: Die Sämischgerbung Seite 53 Josef Klein: Die steirische Lederhose Seite 57 Walter Grübl und Herbert Klieber: Der Federkielranzen Seite 61 Hans Woschner: Der Bergkittel (Grubenhemd) Seite 65 Elisabeth Dresler: Das Maßhemd Seite 71 Klaus Hirt: Eine kleine Knopfgeschichte Seite 75 Peter Wach: Steirischer Seidenhanddruck Seite 81 Karin Krahl-Wichmann: Steirische Männertrachtenhüte Seite 85 Sonja Grill: Der Haferlschuh Seite 91 Sunna Stallmaier: Die steirischen Männerstutzen Seite 95 René Gölles: Trachtenschmuck und Accessoires Seite 101 STEIRISCHE MÄNNERTRACHTEN IN WORT UND BILD Hubert Fink und Roswitha Oracˇ-Stipperger: Leitfaden für die steirische Männertracht Seite 106 Trachtenlandkarte Steiermark Seite 120

INHALTSVERZEICHNIS LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | INHALTSVERZEICHNIS SEITE 5 Steiermarkweite Männertrachten Seite 124 Bezirk Bruck-Mürzzuschlag Seite 148 Bezirk Deutschlandsberg Seite 154 Stadt Graz Seite 166 Bezirk Graz-Umgebung Seite 170 Bezirk Hartberg-Fürstenfeld Seite 184 Bezirk Leibnitz Seite 188 Bezirk Leoben Seite 200 Bezirk Liezen Seite 204 Bezirk Murau Seite 224 Bezirk Murtal Seite 228 Bezirk Südoststeiermark Seite 234 Bezirk Voitsberg Seite 238 Bezirk Weiz Seite 248 Entstehungsgeschichten & Hintergrundinformationen Seite 250 AUTORINNEN & AUTOREN Seite 255 LITERATUR Seite 256

GRUSSWORTE GRUSSWORTE | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 6 STEIRISCHE TRADITION UND REGIONALE WERTSCHÖPFUNG Wir Steirerinnen und Steirer dürfen stolz sein auf unser Land. Es ist reich an lebendigem Brauchtum, regionalen Kostbarkeiten, kulturellen Schätzen und überlieferten Ausdrucksformen. Von Region zu Region weisen unsere Traditionen feine Unterschiede auf, sei es nun im Dialekt, in der Kulinarik oder bei unseren Trachten. Mit rund 280 unterschiedlichen Frauentrachten und nunmehr über 100 Männertrachten verfügt die Steiermark über eine bemerkenswerte Formenvielfalt, die auf das Engagement von unzähligen Steirerinnen und Steirern zurückgeht. Sei es in ihrem Erforschen historischer Grundlagen, in ihrem Bemühen um die Entwicklung einer eigenen Ortstracht, sei es durch ihre Weitergabe der Begeisterung für unsere Trachten oder durch die Ausübung einer Handwerkskunst, die für die Herstellung unserer Trachten erforderlich ist. Sie alle leisteten in der Geschichte und leisten auch noch heute wertvolle Kulturarbeit. Das vorliegende Buch präsentiert uns nicht nur erstmals alle steirischen Männertrachten in Wort und Bild, sondern lässt uns auch einen Blick hinter die Kulissen werfen, in die Werkstätten regionaler Handwerksbetriebe, die in mühevoller Kleinarbeit die steirische Männertracht in all ihren Einzelteilen fertigen. Die lokale Herstellung und somit Wertschöpfung sind mir in diesem Zusammenhang ein besonderes Anliegen, denn hier werden nicht nur qualitätsvolle Produkte, sondern zugleich wertvolle Arbeits- sowie Ausbildungsplätze geschaffen. Die Entstehung dieses Buches ist in besonderer Weise Herrn Schneidermeister Hubert Fink zu verdanken, der durch seine langjährige und erstklassige Arbeit als Trachtenberater nicht nur über ein unglaubliches Wissen rund um die steirische Männertracht verfügt, sondern durch seine Beratung und sein Wirken die Steiermark auch um etliche regionalspezifische Männertrachten bereichert hat. Gemeinsam mit der Volkskultur Steiermark GmbH unter Leitung von Frau Dr. Monika Primas ist es gelungen, dieses umfassende Werk, das einen wichtigen Teil unserer Kulturarbeit bildet, zusammenzustellen. Als Volkskulturreferent ist es mir ein persönliches Anliegen, dass dieses Buch nicht nur als Präsentation der steirischen Männertracht wahrgenommen wird, sondern auch zu einem wertschätzenden und offenen Umgang mit unseren Überlieferungen beiträgt. Denn eine verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit unserer Kultur bildet eine unverzichtbare Basis für unsere eigene Identität und ein friedvolles und konstruktives Miteinander in unseren Gemeinden und Regionen. Hermann Schützenhöfer Landeshauptmann der Steiermark Foto: Scheriau.

GRUSSWORTE LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GRUSSWORTE SEITE 7 Hubert Fink Schneidermeister und Trachtenbeauftragter des Landes Steiermark Foto: privat. TRACHTENSCHNEIDEREI ALS LEIDENSCHAFT Bei meiner Bestellung zum Trachtenberater für die steirische Männertracht im Jahr 2002 war es für mich selbstverständlich, den vorgezeichneten Weg meiner Vorgängerinnen und Vorgänger fortzusetzen: behutsam und auf Basis historischer Überlieferungen Männertrachten zu erneuern, um sie auch für die Zukunft tragbar zu machen. Gleichzeitig war es mir immer ein Anliegen, mit meinem Einsatz für die Tracht das steirische Handwerk zu fördern und Bewusstseinsbildung hinsichtlich regionaler Wertschöpfung und qualitativ hochwertiger Handarbeit zu leisten. Gerade in Zeiten der Globalisierung und der unter unvorstellbaren Bedingungen erfolgenden Bekleidungsfertigung in Billiglohnländern ist es wichtig, unaufhörlich auf eine verantwortungsvolle Fertigung vor Ort und die Langlebigkeit von Produkten, die in handwerklicher Perfektion hergestellt werden, hinzuweisen. Die steirische Männertracht in Maßfertigung ist ein solches Produkt, das nicht nur ein Leben lang, sondern meist auch über mehrere Generationen getragen werden kann. Damit ein Buch wie dieses von der Idee bis zum Druck gelingen kann, bedarf es natürlich einiger Hilfestellungen, für die ich folgenden Personen herzlich danken möchte: Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer für die Unterstützung und Wertschätzung dieses Buchprojekts, Dr. Monika Primas von der Volkskultur Steiermark GmbH für die Einladung zur Erstellung des steirischen Männertrachtenbuches, das nicht zuletzt auf die hervorragende Zusammenarbeit mit dem Steirischen Heimatwerk seit rund 30 Jahren zurückgeht, Dr. Roswitha Oracˇ -Stipperger vom Steirischen Volkskundemuseum, die mich mit ihrer fachlichen Kompetenz immer begleitet hat, Mag. Eva Heizmann für ihre konsequente Unterstützung bei der Fertigstellung des Buches, allen Handwerkerinnen und Handwerkern, die Fachartikel über ihre Arbeit verfasst haben, Mag. Christian Seirer für die großartigen Trachtenzeichnungen und seine unglaubliche Geduld sowie Mag. Isolde Melinz für die Hilfestellung bei der Projektentwicklung. Ebenso erwähnen möchte ich meine Vorfahren, die mir ihr Wissen über die Männertracht überliefert haben – im Besonderen meinen Vater, der ein hervorragender Trachtenschneider war. Bedanken möchte ich mich auch bei Thilde und Erich Fink für die Mitwirkung bei der Textgestaltung und zu guter Letzt bei meiner Frau Elisabeth, die mich ermutigte und unterstützte, dieses Buch zu vollenden. Leider konnte Frau Dr. Gundl Holaubek-Lawatsch die Fertigstellung dieses Werkes nicht mehr erleben. Ihr verdanke ich den Zugang zur volkskundlichen Sichtweise der Männertracht, und von ihr lernte ich viel Grundsätzliches in Bezug auf Erneuerungstendenzen.

GRUSSWORTE GRUSSWORTE | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 8 Dr. Monika Primas Geschäftsführerin der Volkskultur Steiermark GmbH Foto: Volkskultur Steiermark GmbH. Nach der Herausgabe des Buches »Froschgoscherl und Kittlblech. Die Arbeitsblätter der Frauentrachten im Steirischen Heimatwerk« im Jahr 2010 lag der Gedanke nahe, als zweiten, komplettierenden Teil eine Publikation über die steirischen Männertrachten zu verfassen. Von Anfang an setzte sich Schneidermeister Hubert Fink, langjähriger Trachtenbeauftragter des Landes Steiermark, federführend für dieses Projekt ein. Über viele Jahre hat er mit seinem Wissen und seinen handwerklichen Fertigkeiten die Männertrachtenlandschaft der Steiermark mitgetragen und geprägt. Sein Wirken in der Trachtenerneuerung sowie seine Fachkenntnisse sind zu einem Großteil im vorliegenden Buch dokumentiert. Die Darstellung der mittlerweile rund 100 unterschiedlichen steirischen Männertrachten basiert auf historischen Grundlagen sowie der Fachkenntnis Hubert Finks und stellt eine Momentaufnahme der steirischen Männertrachtenlandschaft dar, die heute als äußerst lebendig beschrieben werden kann. Fachartikel zur steirischen Männertracht sowie Beiträge zur überlieferten Handwerkskunst, die in unmittelbarer Verbindung zu den Männertrachten steht, ergänzen dieses Werk und geben uns Einblicke in die Entwicklungsgeschichte der Tracht sowie in die qualitätsvolle Arbeit regionaler Handwerksbetriebe. Die vorliegende Publikation soll als Gebrauchsbuch verstanden werden – für Schneiderinnen und Schneider ebenso wie für jedermann und jedefrau. Und sie soll als Anregung dienen, wieder einmal ganz bewusst zur Tracht zu greifen und sich bei Bedarf auch etwas Neues anfertigen zu lassen. Zum Abschluss dürfen wir unseren herzlichen Dank aussprechen – zuallererst an Herrn Landeshauptmann und Volkskulturreferent Hermann Schützenhöfer, der nicht nur die steirische Tracht bestens kennt und schätzt, sondern dieses Buch auch in großzügiger Weise unterstützt hat. Weiters sei in besonderer Weise Herr Schneidermeister Hubert Fink hervorgehoben, der mit seinem Wissen und seinem unermüdlichen Einsatz einen beachtlichen Anteil am Zustandekommen dieses Werkes hat. Ebenso ein herzliches Danke sei allen Verfasserinnen und Verfassern der fachspezifischen Beiträge, dem Künstler für das Zeichnen der detailgetrauen Figurinen sowie allen Mitarbeiterinnen im Redaktionsteam gesagt. FROSCHGOSCHERL TRIFFT SCHNEIDERFLIEGE

GRUSSWORTE LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GRUSSWORTE SEITE 9 DAS EDLE HANDWERK DES HERRENKLEIDERMACHERS Die traditionelle Tracht und das edle Handwerk des Herrenkleidermachers sind ein fixer Bestandteil unserer Gesellschaft und Kultur in der Steiermark. Aus der Geschichte können wir nachvollziehen, wie die traditionelle Männertracht entstand und bis in die heutige Zeit gepflegt und weiterentwickelt wurde. Als Innungsmeister für Mode und Bekleidungstechnik möchte ich besonders auf die handwerklichen Details und Eigenheiten, die eine vom Maßschneider gefertigte Tracht bieten kann, hinweisen. Die steirische Männertracht zeigt eine unglaubliche Vielfalt an Besonderheiten und jeweils an die verschiedenen Regionen unseres Landes angepasste – immer wieder erneuerte und weiterentwickelte – Formen. Der Maßschneider ist aufgrund seiner umfassenden Ausbil - dung und durch sein Können ganz besonders für die Anfertigung individueller Einzelstücke prädestiniert, die speziell auf den jeweiligen Träger abgestimmt sind. Dieses Buch über steirische Männertrachten bietet nicht nur eine reichhaltige Übersicht und eine informative Unterlage für Kleidermacher, sondern gibt auch jenen Menschen, die eine traditionelle Tracht tragen möchten, einen umfassenden Überblick und erhöht den Anreiz, sich damit zu beschäftigen. Von der Alltagstracht bis zur Sonntags- und Festtracht finden sich hier alle Formen und Spezifika steirischer Männertrachten. Somit bildet dieses Werk einen wertvollen Beitrag zur Volkskultur unseres schönen Landes Steiermark! KoR Friedrich Jeitler für die Landesinnung Mode und Bekleidungstechnik Steiermark Foto: privat.

GEDANKEN GEDANKEN | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 10 Leopold Kupelwieser: Erzherzog Johann, 1828, Neue Galerie am Universalmuseum Joanneum.

GEDANKEN LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GEDANKEN SEITE 11 Die steirische Männertracht hat sich seit der Zeit Erzherzog Johanns – basierend auf ihren Ursprüngen – stetig weiterentwickelt. Dass Erzherzog Johann sein Augenmerk und damit jenes einer breiten Öffentlichkeit auf die steirische Tracht und im Speziellen auf den einfachen grauen Rock lenkte, findet seine Begründung darin, dass es ihm von ganzem Herzen wichtig war, auf Augenhöhe mit den Menschen der verschiedensten Stände zu kommunizieren. Er wollte keinesfalls wie ein Großer des Hofes in Samt und Seide gehüllt auftreten, sondern den Menschen seine Wertschätzung dadurch bekunden, dass er Traditionen in Sprache, Musik und Kleidung ernst nahm und würdigte. So kommt es, dass man heute immer wieder betont und behauptet, Erzherzog Johann sei der Begründer der steirischen Männertracht. Sein Wunsch war es – wie schon gesagt –, die Kleidung der ländlichen Bevölkerung als Zeichen eines Lebensstils von Fleiß und Einfachheit zu fördern und auch für weitere Generationen attraktiv zu machen. Da wir in der Steiermark gerne die Initiativen des steirischen Prinzen am Leben erhalten und aktiv weiterführen, ist es auch richtig, die Besonderheit der steirischen Männertracht, wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt hat, für die Zukunft zu bewahren. Dabei kommt es darauf an, die wesentlichen Elemente in ihrer Ursprünglichkeit im Auge zu behalten – mit Offenheit für zeitgemäße und notwendige Ergänzungen und Anpassungen. Das ist ein heikles Unterfangen, wie ich meine, da die Besonderheit der steirischen Tracht nicht allfälligen kurzfristigen Modetrends ausgeliefert werden sollte. Die steirische Männertracht ist Ausdruck unserer regionalen Identität und ist in verschiedenen Formen von kleinstregionalen Überlieferungen geprägt, wie zum Beispiel das Gamsfrackerl, der Leobner Anzug, der Breitenauer oder auch der Schladminger und viele andere spezielle Formen. Ähnliches kann man natürlich auch über die verschiedenen Ausprägungen des steirischen Dialekts sagen, die oft von Tal zu Tal ganz unterschiedliche Sprachfärbungen aufweisen. Es ist also darauf zu achten, dass unsere regionalen Identitäten sorgfältig erhalten und auch für die zukünftigen Generationen verständlich weitergeführt werden. Dem Steirischen Heimatwerk und vielen unsere Landestracht pflegenden Persönlichkeiten und vor allem vielen Schneiderinnen und Schneidern ist es zu verdanken, dass die handwerklichen Fertigkeiten und die überlieferten Formen erhalten und weitergeben werden und sich die steirische Tracht auch in Zukunft ausgezeichnet präsentieren kann. AUF DEN SPUREN ERZHERZOG JOHANNS VONFRANZ HARNONCOURT-UNVERZAGT URURENKEL VONERZHERZOGJOHANN Foto:Volkskultur Steiermark GmbH.

GEDANKEN GEDANKEN | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 12 Oberlandler Graz, 2014. Foto: Oberlandler.

GEDANKEN LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GEDANKEN SEITE 13 Die Oberlandler Graz, gegründet 1883, sind der älteste karitative Verein der Steiermark und haben neben ihrem großen Ziel, in Not geratene Steirerinnen und Steirer zu unterstützen, auch die Pflege des Brauchtums in ihren Statuten eingebunden. Etablierte Grazer Kaufleute hatten sich damals in der Zeit der beginnenden Industrialisierung, die besonders die Mur- und Mürz-Furche betraf, vorgenommen, nicht nur die dort immer stärker werdende Armut zu lindern, sondern auch das, was unsere Landschaft und unsere Kultur prägt, nämlich die steirische Tracht und das steirische Brauchtum, zu bewahren, in Ehren zu halten und zu fördern. Diese Ziele haben wir bis in unsere Zeit beibehalten und sie stellen das dar, was die Oberlandler nach außen hin kennzeichnet: ob zum »Kirtag« in zünftiger Lederhose oder zum »Ball der Oberlandler« im festlichen Steireranzug – aber immer mit der bekannten roten Weste der Oberlandler! Wir Oberlandler sind stolz darauf, unsere steirische Tracht zu tragen! Unablässig sind wir bemüht, auch unseren Gästen, die wir besonders zu diesen beiden Festen einladen, das Steirerg‘wand näherzubringen. Alle, die mit uns feiern und uns damit helfen, notleidenden Steirerinnen und Steirern beizustehen, bitten wir immer wieder, in traditioneller Tracht zu uns zu kommen. Dazu benötigt es natürlich auch entsprechender Unterstützung durch Fachleute, die es bis heute verstanden haben, unsere Tracht zu erhalten, sie behutsam zu verändern und dem Geschmack der Zeit anzupassen. Im Bereich der steirischen Männertracht ist der Schneidermeister und beauftragte Trachtenberater des Landes Steiermark, Hubert Fink, einer von ihnen. In ihm haben wir einen strengen und korrekten, aber in seinem ununterbrochenen Bemühen unverzichtbaren und unüberhörbaren Mahner und Ratgeber. Alte Vorgaben mit neuen Ideen so zu verbinden, dass sich Tracht und Mode zwar deutlich voneinander abgrenzen, die Tracht aber in ihrer bunten Vielfalt erhalten bleibt – das ist sein ununterbrochenes und unschätzbares Drängen und Tun. Möge die steirische Tracht heute und in Zukunft weiterhin bekannt und beliebt bleiben, immer wieder neue Freunde gewinnen und in unserer schnelllebigen, weltumspannenden Zeit auch besonders das vermitteln, was sie immer vermitteln sollte: die heimatliche Verbundenheit zu unserer Steiermark! DIE OBERLANDLER – TRACHT UND TRADITION VONHEINZ KLINGER VULGODORFBADER DER OBERLANDLER GRAZ

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG GESCHICHTE & ENTWICKLUNG | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 14 Bauernpaar aus Passail, Aquarell von Karl Ruß, Kammermaler Erzherzog Johanns, 1813.

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GESCHICHTE & ENTWICKLUNG SEITE 15 Wenn sich ein Mann im Jahr 2015 steirisch kleidet, so wird das wesentlich anders aussehen als etwa im Jahr 1915 oder noch weitere 100 Jahre zuvor. Eine Trachtenbeschreibung kann immer nur eine Momentaufnahme sein und wird bei aller Zeitlosigkeit, die man Tracht gerne zuschreibt, zeigen, wie sehr auch dieser Bekleidungsstil Veränderungen und Entwicklungen unterworfen ist. Der lange, mantelartige Haftelrock wich einst kurzen Rock- und Joppenformen, der zylindrische Hut löste die breitkrempigen Regen- und Schattendächer ab, und den Steireranzug sucht man bis weit ins 19. Jahrhundert hinein vergeblich. Auch der regionale Aspekt darf nicht übersehen werden: Woher kam oder kommt der Steirer, dessen typische Kleidung betrachtet werden soll? Hier waren in der Vergangenheit aufgrund der klimatischen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch deutlich mehr Unterschiede – auch in der Kleidung – festzustellen als heute. Mit all diesen Fakten beschäftigt sich seit rund einem Jahrhundert die Volkskunde, die im Umgang mit dem Phänomen Tracht während dieser Zeit unterschiedliche Positionen eingenommen hat. Das Wissen über die Entwicklung der Tracht in der Steiermark und ihre Wertschätzung bis in die Gegenwart verdanken wir mehreren Persönlichkeiten. Eine wichtige Rolle spielte zunächst Erzherzog Johann (1782–1859), der steirische Prinz, der durch seine Kammermaler ein vielfältiges Zustandsbild der typischen Kleidung der ländlichen Bevölkerung seiner Zeit hinterließ und durch sein persönliches Vorbild das Tragen des schlichten grau-grünen Rockes populär machte und damit ein Bekenntnis zu Land und Leuten und zum einfachen Leben ablegte. In dem von ihm gestifteten Museum, dem Joanneum, genauer gesagt in dem 1913 durch Viktor Geramb (1884–1958) gegründeten Volkskundemuseum, erfolgt seit dem frühen 20. Jahrhundert die wissenschaftliche Beschäftigung mit den überlieferten Kleidungsformen und -gewohnheiten der Steirerin- nen und Steirer. An diesem joanneischen Sammlungs- und Ausstellungsstandort in der Grazer Paulustorgasse besteht eine umfangreiche Studien- und Schausammlung, die auch wichtige Elemente und Entwicklungslinien steirischer Männertrachten dokumentiert und illustriert. Besonders im Trachtensaal, einem Ausstellungsraum aus den 1930er-Jahren, wird auf 42 lebensgroßen Figurinen, zum Teil in Rekonstruktionen, zum Teil mit originalen Kleidungsstücken, die Entwicklungsgeschichte menschlicher Kleidung auf steirischem Boden von den ersten Spuren in der Hallstattzeit bis in das frühe 20. Jahrhundert dargestellt. Dieser Trachtensaal wiederum ist untrennbar mit einem zweibändigen wissenschaftlichen Grundlagenwerk – ebenfalls in den 1930er-Jahren entstanden – verbunden, dem »Steirischen Trachtenbuch«, das den damaligen Forschungsstand an unzähligen historischen Beispielen materialreich wiedergibt. Die Vorarbeiten dazu leistete ein außergewöhnlicher Kenner und Sammler der Tracht, durch den Geramb lange Zeit mit Anschauungsmaterial vorwiegend aus dem steirischen Salzkammergut versorgt wurde und mit dem er über Jahre in regem inhaltlichem Austausch zu vielen Fragen der Volkskultur stand: Konrad Mautner (1880–1924), dem Sohn einer Wiener jüdischen Industriellenfamilie, war das AusSTEIRISCHE MÄNNERTRACHT – GESAMMELT, ERFORSCHT UND ERNEUERT VONROSWITHA ORAč-STIPPERGER

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG GESCHICHTE & ENTWICKLUNG | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 16 seerland von frühester Jugend an zur zweiten Heimat geworden und hatte seinen Blick für die Alltagskultur der Region geschärft. Sein früher Tod verhinderte die gemeinsame Herausgabe des Trachtenbuches, das von Viktor Geramb schließlich allein vollendet werden musste. Trachtensaal und Trachtenbuch sowie der Beginn der volkskundlichen Trachtenforschung in der Steiermark sind Verdienste von Viktor Geramb, der auch erster Ordinarius für Volkskunde an der Universität Graz war. Die ältere Volkskunde war bemüht, historische Trachtenlandschaften zu definieren und die formalen Unterschiede in den Gewandformen darzustellen. Das Beobachten von regionalen Vorlieben über längere Zeiträume und das Auswerten von archivalischen Quellen und Bildmaterial ermöglichten Aussagen über typische Farbgebung, Materialwahl und Schnittführung. Feststellungen über die Häufigkeit gewisser Merkmale legten fest, was als besonders oder nicht steirisch galt. Anhand dieser Erkenntnisse wurden Merkblätter und Richtlinien erstellt. In der Gegenwart werden diese Regeln oft als einschränkend und bevormundend empfunden. Doch sind sie das Ergebnis langfristiger Beobachtung und sagen nur aus, was in der traditionellen Kleidung in unserem Land charakteristisch oft zu finden ist oder was selten bis gar nicht nachweisbar ist. Wer an diesen Überlieferungen interessiert ist, wird sich zum Teil auch in seiner persönlichen Kleidungswahl daran orientieren; wer seinen momentanen Farb- und Formgeschmack ausleben will oder seine Vorbilder anderswo sucht, für den sind die genannten Richtlinien ohnehin nicht relevant. Mit der Systematisierung der Kleidungsformen, deren regionaler Zuordnung und vergleichenden Studien zur formalen Entwicklung der einzelnen Gewandteile über Jahrhunderte schuf Geramb nicht nur die wissenschaftliche Basis für alle folgenden Initiativen der Trachtenpflege und -erneuerung, er setzte sich auch intensiv dafür ein, dass die Tracht in allen Landesteilen und vor allem auch am Land wieder getragen werden sollte. Das Trachtenbewusstsein und die Palette an differenzierten tradierten Kleidungsformen waren nämlich Trachtensaal des Volkskundemuseums in Graz. Foto: Universalmuseum Joanneum.

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GESCHICHTE & ENTWICKLUNG SEITE 17 zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den steirischen Landregionen auf einem Tiefpunkt angelangt. Vor allem die ländliche beziehungsweise bäuerliche Bevölkerung hatte keine große emotionale Bindung zur Tracht und kleidete sich, wenn es das schöne G’wand sein sollte, gerne nach der Mode der Zeit. In diesem Gewandstil sah man das Erstrebenswerte, das Bessere, Schönere. In städtischen Kreisen dagegen wuchs das Trachtenbewusstsein, stieg die Begeisterung für Kleidungsgewohnheiten, die ebenso wenig die grundlegend eigenen waren wie bei der Landbevölkerung die Vorliebe für modische Konfektionsware. Vor dem Hintergrund dieser gegenläufigen Entwicklung versteht man auch die Worte Gerambs besser, die er im Nachwort zum »Steirischen Trachtenbuch« im Hinblick auf das Ziel der Trachtenpflege und -erneuerung schreibt: »Gewonnen ist der Sieg erst dann, wenn die von der Trachtenpflege neu belebte (…) Landestracht der Städte auch wieder die letzten bäuerlichen Gemeinschaften erfasst haben wird.«1 Ohne die bewusste Lenkung, ohne gestalterische Eingriffe von Theoretikern und Praktikern, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von Lehrerinnen und Lehrern und auch von Schneidermeisterinnen und Schneidermeistern, ergäbe eine Bestandsaufnahme jener Trachtenformen, die in ihrer Gestaltung auf tradierte Vorbilder verweisen, in der Steiermark im jungen 21. Jahrhundert wahrscheinlich nicht die aktuelle Vielfalt und Bandbreite. Wenn auch der Variantenreichtum der Männertracht mit dem der überlieferten Frauenkleidung zu keiner Zeit Schritt halten konnte und sich das natürlich auch in der Anzahl der erneuerten Trachten zeigt, so sind es doch auch erstaunlich viele Männertrachten oder zumindest Rockformen, die seit den Anfängen einer bewussten Trachtenpflege nach sorgfältigem Studium regionaler Besonderheiten weiterentwickelt wurden und inzwischen bereits wieder zum identitätsstiftenden Gemeinschaftsgut in steirischen Gemeinden oder Kleinregionen geworden sind. Zeitgemäße Schnittformen und zeitgemäße Materialien – das waren immer wieder die Forderungen der Trachtenpflege und der Trachtenerneuerungsbewegung. Es ging und geht also nicht darum, historische Gewandstücke unverändert nachzuschneidern und deren Trägerinnen und Träger 1 Konrad Mautner und Viktor Geramb, Steirisches Trachtenbuch, Bd. 2, Graz 1935, S. 577. Trachtendarstellungen aus dem Buch »Alte Volkskunst – Steirische Trachten« von Gundl Holaubek-Lawatsch, 1983: Hirschegger Anzug (oben) und Rosenkogel-Reinischkogel-Röckl (unten).

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG GESCHICHTE & ENTWICKLUNG | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 18 somit historisierend zu verkleiden, sondern darum, Grundformen überlieferter Kleidung weiterzuentwickeln und für die jeweilige Gegenwart tragbar zu machen. Diese Grundidee ist für die Entwicklung der Tracht in der Steiermark seit dem frühen 20. Jahrhundert und in der Folge auch für die meisten österreichischen Bundesländer typisch und unterscheidet den österreichischen Weg markant von jenem unserer südlichen und östlichen Nachbarländer wie auch anderer europäischer Staaten. Von dort sind uns Trachtengruppen in historischen Gewändern geläufig, die bei Umzügen, Tanzvorführungen oder ähnlichen Anlässen die vergangene Volkskultur ihrer Herkunftsregion präsentieren. Aus dem alltäglichen Straßenbild sind Trachten dort allerdings verschwunden. »Zeitgemäße Steirertrachten« – so lautet auch der Titel der von Geramb 1936 aufgelegten ersten Broschüre zur Trachtenerneuerung für die Steiermark. Dieses noch recht bescheidene kleinformatige Heftchen hebt sich von allen folgenden Unterlagen zur erneuerten steirischen Tracht vor allem dadurch ab, dass darin überwiegend Männerkleidung vorgestellt wird. Das Heft enthält auch eine informative Übersicht über die diversen Grundformen des Männerrockes in unserem Bundesland, wie sie in keiner der folgenden Arbeitsmappen oder -bücher mehr so konzentriert zu finden ist. Gerambs Schülerinnen und Schüler setzten das Vorhaben ihres Lehrers fort und machten sich für die Verbreitung und Vermehrung erneuerter Trachtenformen stark. Ein wichtiger Impuls dafür ging vom Steirischen Gedenkjahr 1959 aus, in dem man des 100. Todestages von Erzherzog Johann gedachte und die Trachtenerneuerung landesweit forcierte. Die im Volkskundemuseum tätigen Volkskundler Sepp Walter (1915–2005) und Gundl Holaubek-Lawatsch (1919– 2015) erschlossen das gesamte Material an Text- und Bildquellen sowie die textilen Anschauungsobjekte aus der Sammlung und leiteten daraus zeitgemäße Erneuerungsvorschläge ab. Gundl Holaubek-Lawatsch war es dann auch, die einen Großteil ihrer aktiven Berufslaufbahn in den Dienst der Trachtenerneuerung stellte und noch im Ruhestand als Konsulentin für den Steirischen Blasmusikverband Musikkapellen trachtlich einkleidete. Die wissenschaftliche Volkskunde hat sich nun schon seit mehreren Jahrzehnten aus der aktiven Trachtenerneuerung zurückgezogen. Diese angewandte Tätigkeit obliegt heute vorrangig dem Steirischen Heimatwerk für die Frauentrachten, bei den Männertrachten übernehmen diese Aufgabe vom Land Steiermark beauftragte Schneidermeister, die über das einschlägige Spezialwissen verfügen. Seit 2002 haben Schneidermeister Hubert Fink aus Gratkorn und Schneidermeister Hans Woschner aus Leoben diese Funktion inne. Ihre Hauptaufgabe besteht in der Beratung von Blasmusikkapellen hinsichtlich einer neuen Vereinskleidung. Hubert Fink nimmt sich zusätzlich der Erneuerung von Regionalund Ortstrachten an. Die umfangreiche Textil- beziehungsweise Trachtensammlung des Volkskundemuseums in Graz, die im Museum befindlichen Bild- und Textquellen sowie die in der Museumsbibliothek verfügbare Fachliteratur bieten aber nach wie vor die Grundlage für eine weitere Erforschung der Tracht. Trachtendarstellung aus dem Buch »Alte Volkskunst – Steirische Trachten« von Gundl Holaubek-Lawatsch, 1983: Voitsberger Sonntagsrock.

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GESCHICHTE & ENTWICKLUNG SEITE 19 Trachtendarstellungen aus »Zeitgemäße Steirertrachten«, gefertigt von Hans Reidinger (Viktor Hammer Meisterschule am Grundlsee), 1936 (v. l. n. r.: »Försterkragen« mit Kapuze, »Schladminger«, Eingebandelter Schößelrock »Breitenauer«).

20 SEITE GESCHICHTE & ENTWICKLUNG | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE GESCHICHTE & ENTWICKLUNG Auf Initiative steirischer Schneidermeister erschien in Graz bereits im Jahr 1925 eine Trachten-Bildermappe, die den Titel »Gwandkasten« trug. Nach Modellen eines Grazer Schneidermeisters vom Grazer Kunstmaler Rudolf Posch gefertigt, finden sich darin auf 16 Blättern Abbildungen der »in den Alpenländern gangbarsten Trachten in Vierfarbendruck«. Diese Bildermappe, an der das Volkskundemuseum in beratender Funktion mitwirkte, sollte in erster Linie das Bedürfnis der Schneidermeister decken, »ihren Kunden brauchbare Bilder zu deren Orientierung« vorlegen zu können. In Wort und Bild werden darin zusätzlich »Richtlinien über Form und Ausstattung dieser Kleidungsstücke« gegeben. Linke Darstellung: »Das Steirerröckl der einfachsten Form, wie jenes Ende der siebziger Jahre [des 19. Jahrhunderts] von A. E. Geist in Leoben allgemein angefertigt wurde. … Dazu trug der Stadtbewohner meistens eine ganz schmal gestreifte graue Kammgarnhose, der Ländliche vielfach Hosen aus grauem Trikot mit Doppellampas.« Rechte Darstellung: »Das Schützenröckl, stets einreihig, mit Vorliebe Ende der neunziger Jahre [des 19. Jahrhunderts] getragen, ist aus olivgrünem, ins Gelbliche schlagendem Flanell. … Als Hose entweder eine kurze Lederhose oder eine graue, schmal gestreifte lange Hose aus Kammgarn.«

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GESCHICHTE & ENTWICKLUNG SEITE 21 Tracht hat einen regionalen Hintergrund, steht für Identität und Herkunft und ist in Überlieferung und Geschichte verwurzelt. Das Bewusstsein um die besondere Bedeutung der Tracht begann mit Erzherzog Johann (1782–1859) und seinem Bestreben, das Leben der bäuerlichen Bevölkerung in der Steiermark zu dokumentieren. Zugleich wirkte seine persönliche Vorliebe für das Steirergewand vorbildhaft auf die Bevölkerung und verstärkte die Verbreitung und Wertschätzung der Tracht. Die Trachtenbeschreibungen und -darstellungen aus der Zeit Erzherzog Johanns geben uns bis heute wichtige Einblicke in die Ausführungen und Entwicklungen der steirischen Tracht. Viktor Geramb (1884–1958), Gründer des Volkskundemuseums in Graz, setzte im beginnenden 20. Jahrhundert – gemeinsam mit Konrad Mautner (1880– 1924) – einen weiteren Meilenstein in der volkskundlichen Trachtenforschung. Auf Basis ihrer umfassenden Rechercheund Sammlungstätigkeiten erschien in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts schließlich das »Steirische Trachtenbuch«1 in zwei Bänden. Aufgrund dieser Forschungsergebnisse war es Viktor Geramb ein Anliegen, mit dem Volkskundemuseum samt dem Heimatwerk – im Sinne der angewandten Volkskunde – auch volksbildnerisch zu wirken. So wurde beispielsweise im Jahr 1936 unter seiner Leitung das Heft »Zeitgemäße Steirertrachten« herausgegeben, das sich als praktischer Behelf mit zahlreichen Abbildungen direkt an die Bevölkerung richtete. Die Zielsetzung dieser Publikation erklärt Viktor Geramb in seinem Vorwort wie folgt: »Worauf es uns dabei ankommt, ist folgendes: Wir wollen den vielen Missverständnissen wirksam entgegentreten, die mit dem Begriff ›Trachtenpflege‹ teilweise in gutgemeintem Eifer, teilweise auch aus rücksichtsloser Geschäftigkeit immer noch und immer wieder neu verbunden werden. Trachtenpflege ist weder ein zeitwidriges Aufwärmen alter längst abgelebter Formen der Vergangenheit, noch eine bewusste Uniformierung eines Bevölkerungsteiles mit einer behördlich bestimmten Einzelform; am allerwenigsten aber ist sie ein geschäftstüchtiges Drauflos-Erfinden von theatralisch wirkenden ›Älpler-Kostümen‹. Wirkliche Tracht ist lebendiges Leben! Sie hat sich zu allen Zeiten immer dem Lebensrhythmus, den Menschen, Gesichtern und Gesten der jeweiligen Gegenwart angepasst. Sie hat die neuen Gestaltungen stets ›lebend entwickelt‹, in behutsamer Weiterführung (nicht im starren Festhalten!) erprobter vergangener Formen. Eine zeitgemäße Tracht – und nur eine solche hat die Möglichkeit, wirklich lebendige Tracht zu sein! – muss den Menschen der Gegenwart, muss dem Rhythmus und den Lebensformen der Zeit zu Gesicht stehen; sonst wird sie eine aussichtslose und törichte Maskerade, bestenfalls eine ›Sommerfrischlermode‹, die von vornherein zu raschem Absterben verurteilt ist. … Es war daher die bewusste Absicht bei der Schaffung dieses Heftchens, keine historischen Steirertrachten, mögen diese auch noch so schön geDER KONTINUIERLICHE ERNEUERUNGSWEG DER STEIRISCHEN MÄNNERTRACHT VONHUBERT FINK 1 Konrad Mautner und Viktor Geramb, Steirisches Trachtenbuch, 2 Bde., Graz 1932–1935.

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG GESCHICHTE & ENTWICKLUNG | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 22 Der Frohnleitner Rock (Mayr-Melnhof-Jagdrock) auf Tafel XII der Mappe »Steirische Trachten«, 1959.

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GESCHICHTE & ENTWICKLUNG SEITE 23 wesen sein, sondern nur solche zu zeigen, die heute getragen werden. Diese Steirertrachten … – und das ist das Schöne daran und das ist dem Wirken Erzherzog Johanns zu verdanken –, sie werden in Stadt und Land ohne Standesunterschied getragen und sind gerade auch darin wahrhaftig zeitgemäß im besten Sinn des Wortes.«2 Der von Viktor Geramb eingeschlagene volksbildnerische Weg, der eine Trachtenerneuerung im Sinne einer sensiblen, zeitgemäßen Weiterentwicklung überlieferter Grundformen forciert, wurde im Erzherzog-Johann-Jubiläumsjahr 1959 mit der Veröffentlichung der Mappe »Steirische Trachten« fortgeführt. Initiiert von Hanns Koren (1906–1985), herausgegeben vom Steirischen Volksbildungswerk und – im Bezug auf die Männertrachten – unter Mitarbeit des Volkskundlers Sepp Walter (1915–2005) sowie des Frohnleitner Schneidermeisters Lois Pregartbauer (1909–2003) entstand diese bekannte und weitverbreitete Mappe, die auf 20 Bildtafeln Zeichnungen regional zugeordneter Trachten zeigt sowie Kurzbeschreibungen der einzelnen Trachten beinhaltet. Nicht zuletzt an dieser Publikation sieht man, dass die Trachtenerneuerung immer ein gemeinsamer Prozess war, der sich im Zusammenwirken von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Schneiderinnen und Schneidern sowie der engagierten Bevölkerung entwickelte. Eine gewisse Abgrenzung zur sogenannten »Trachtenmode« und zur Fertigung in Konfektion war und ist ein steter Begleiter auf dem Weg der Trachtenerneuerung. Wie schon im oben angeführten Vorwort von Viktor Geramb thematisiert, versucht auch Karl Stöffelmayr (1901–1980) vom Steirischen Volksbildungswerk in der sogenannten »Steirischen Trachtenmappe« 1959 eine Unterscheidung von Tracht und Mode zu verschriftlichen: »Natürlich unterliegt auch die Tracht einem steten, aber leisen Wandel. Aber er geht nicht mit den eiligen Schritten modischer Unruhe, sondern er kommt von dem unentwegt geduldigen Bemühen um die Bewäl - tigung der neuen Anforderungen, die jede Zeit und in ihr auch die modischen Erscheinungen immer wieder fordern, aus tastenden Versuchen, aus ernsten Überlegungen und aus der angeborenen Gestaltungskraft.«3 Eine weitere prägende Persönlichkeit in der Geschichte der steirischen Trachtenerneuerung war Gundl Holaubek- Lawatsch (1919–2015). Seit den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts nahm sie verstärkt einen von der Bevölkerung ausgehenden Wunsch nach landschaftsgebundenen Trachten wahr und arbeitete diesem entsprechend an der Erneue - rung steirischer Trachten. Sie war landauf, landab im Sinne der Trachtenerneuerung tätig, beriet mit ihrem Fachwissen unzählige steirische Blasmusikkapellen bei ihrer Einkleidung und gab nicht zuletzt mit ihrem im Jahr 1983 erschienenen Buch »Alte Volkskunst – Steirische Trachten«4 richtungsweisende Impulse. Die wissenschaftliche Forschung als Grundlage sowie die Einbindung der Bevölkerung in die Trachtenerneuerung waren wichtige Grundsätze von Gundl Holaubek-Lawatsch. Zudem war ihr die Mitarbeit steirischer Handwerker – vom Lederhosenerzeuger bis zum Hutmacher und im Speziellen jene der regionalen Schneidermeisterinnen und Schneidermeister – ein besonderes Anliegen in ihrem unermüdlichen Einsatz für die steirische Tracht. Im Jahr 2002 wurde der Wunsch des Landes Steiermark an mich herangetragen, die Funktion des steirischen Trachtenberaters für Männertrachten zu übernehmen. Mit dem Wissen, dass verantwortungsvolle Trachtenerneuerung die gute Kenntnis historischer und regionaler Vorlagen voraussetzt, übernahm ich dieses Amt, das ich bis heute innehabe, mit Freude. Durch meine – bzw. jene meines Vaters, des Schneidermeisters Hubert Fink sen. (1925–2013) – jahrzehntelange Zusammenarbeit mit Gundl Holaubek- Lawatsch und unsere Mitarbeit an ihrem 1983 erschienenen Trachtenbuch wurde ich schon sehr früh mit dem Gedanken der Trachtenerneuerung vertraut gemacht. Der sensible Umgang mit überlieferten Grundformen und die sanfte Einbindung der Wünsche aus der Bevölkerung bilden die zwei Grundsäulen meines Tuns, ergänzt durch 2 Viktor Geramb im Vorwort zu: Zeitgemäße Steirertrachten, Graz 1936, S. 2–3. 3 Karl Stöffelmayr, Tracht und Trachtentragen, in: Steirisches Volksbildungswerk (Hrsg.): Steirische Trachten, Graz 1959, S. 2 (bekannt auch als »Steirische Trachtenmappe«). 4 Gundl Holaubek-Lawatsch, Alte Volkskunst – Steirische Trachten, Graz 1983.

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG GESCHICHTE & ENTWICKLUNG | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 24 Der Steirische Frack im Trachtenbuch von Gundl Holaubek-Lawatsch, 1983. Foto: Ferdinand Neumüller.

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GESCHICHTE & ENTWICKLUNG SEITE 25 meinen Anspruch auf qualitätsvolles Schneiderhandwerk und hochwertige Grundmaterialen. Auf dieser Basis konnten in meiner nunmehr 13-jährigen Tätigkeit als Trachtenberater 45 steirische Männertrachten erneuert werden. In einer guten Zusammenarbeit der steirischen Schneidermeisterinnen und Schneidermeister sowie unter Einbindung der heimischen Handwerksbetriebe (Lodenwalkerei, Lederhosenerzeuger, Schuhmacher etc.) wird somit der steirische Weg der Trachtenerneuerung fortgesetzt und die Begeisterung für unsere steirische Tracht vermittelt. Die Tracht ist in der Steiermark lebendig und – nicht zuletzt durch den kontinuierlichen Weg der Trachtenforschung und -erneuerung seit Erzherzog Johann – auch im Heute Bestandteil unseres Alltagslebens. Trachtenerneuerung heute. Als Beispiel der Hügellandanzug, entwickelt 2010. Illustration: Christian Seirer.

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG GESCHICHTE & ENTWICKLUNG | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 26 Der Bergmannskittel als einheitliche Kleidung der Musikkapelle, 1947. Foto: Steirisches Volksliedarchiv.

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GESCHICHTE & ENTWICKLUNG SEITE 27 Von der Militärmusikkapelle zur zivilen Blasmusik In der Steiermark blicken wir auf eine lange Tradition an Militärmusikkapellen zurück, die schon zur Zeit ihrer Hochblüte in der Donaumonarchie als Repräsentations- und Unterhaltungsmusik einen wichtigen kulturellen Beitrag leisteten. Mehr als 100 große Militärorchester zählte die österreichisch-ungarische Monarchie, davon waren einzelne Kapellen mit bis zu 120 Musikern ausgestattet.1 Die ersten Gründungen ziviler Blasmusikkapellen in Österreich reichen in die 20er-Jahre des 19. Jahrhunderts zurück. Über ein Jahrhundert später, im Jahr 1950, wurde der Bund der Blasmusikkapellen Steiermarks, der heutige Steirische Blasmusikverband, als wichtiger Grundstein für die weitere Entwicklung des steirischen Blasmusikwesens gegründet. Damit verbunden rückte auch das Thema einer einheitlichen Vereinskleidung immer stärker in den Vordergrund. Uniform und Blasmusik Die lange militärische Vorgeschichte prägte die anfängliche Uniformierung der Musiker innerhalb einer Musikkapelle. Nicht selten dienten Uniformen aus ehemaligen staatlichen Organisationen, die ihre offizielle Bestimmung durch den politischen Umbruch mit dem Zerfall der österreichisch- ungarischen Monarchie verloren hatten, als einheitliche Kleidung. Sie wurden mit der Gründung dieser Blasmusikgruppen einem neuen Zweck – nämlich als Einkleidung dieser Blasmusikkapellen – zugeführt. Das Bedürfnis und der Wunsch nach einem sichtbaren Zeichen von Zusammengehörigkeit bedingten nicht selten den Griff nach ausrangierter Militärkleidung – und seien es letztlich auch nur einheitliche Militärmützen gewesen,2 die stellvertretend für eine komplette Uniform und als gemeinschaftsbindendes Element innerhalb einer Musikkapelle standen. Die Frage nach einer einheitlichen Kleidung stellte sich bei einer Werkskapelle, einer Stadtmusikkapelle, der Postmusik oder aber auch bei einer Feuerwehrmusikkapelle nicht. Im Gegenteil, man nutzte den Umstand des Vorhandenseins einer Arbeitskleidungbeziehungsweise einer Standestracht, um diese auch gleich als Vereinstracht zu verwenden. Auch heute gibt es noch eine Vielzahl an Musikkapellen, die auf dieser Kleidertradition aufbauen und sich im Bergmannskittel und mit Schachtmütze oder Kalpak (Schachthut) – wie etwa die Salinenmusikkapelle Altaussee, die Bergkapelle Steyregg Gemeinde Wies, der Musikverein Knappenkapelle Oberzeiring oder auch die Bergkapelle Piberstein – präsentieren. Ebenso dreht es sich beispielsweise bei der EinkleiTRACHT & BLASMUSIK ZUR EINKLEIDUNG DER STEIRISCHEN BLASMUSIKKAPELLEN VONEVELYNKOMETTER 1 Eugen Brixel und Wolfgang Suppan, Militärmusik, in: Das große steirische Blasmusikbuch, Wien-München 1981, S. 40f. 2 Eugen Brixel und Wolfgang Suppan, Vom Steireranzug zur Trachtenuniform, in: Ebda., S. 153.

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG GESCHICHTE & ENTWICKLUNG | LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE SEITE 28 dung der Feuerwehrkapelle Fernitz, dem Polizeimusikverein Leoben, der Postmusik Graz, der Artillerie-Traditionskapelle »Von der Groeben« oder auch beim Eisenbahner Musikverein der Europastadt Graz um eine Art historische Uniformierung. Anforderungen an eine Vereinskleidung Infolge ständiger Neugründungen von Blasmusikvereinen in der Steiermark gelang der zivilen Marsch- beziehungsweise Blasmusik der endgültige Durchbruch schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg. Gegenwärtig zählen wir mehr als 395 Musikkapellen in unserem Land, die das gesamte Jahr über mit ihren musikalischen Leistungen im Einsatz sind und viele Auftritte absolvieren. Die passende Präsentation – nicht zuletzt durch die Kleidung, die bestimmte Kriterien und Ansprüche zu erfüllen hat – ist den Musikkapellen ein wichtiges Anliegen. Denn die Kleidung der Musikkapellen steht im Rampenlicht der Öffentlichkeit: Sie muss optisch herausragend, für festliche Angelegenheiten passend und bei jeder Witterung einsatzfähig sein. Einerseits gilt es als Folge des Verbandwesens, eine geordnete, homogene, dem uniformierten Charakter zugrundeliegende Vereinheitlichung im äußeren Erscheinungsbild zu zeigen. Auf der anderen Seite bedeutet es aber auch, sich von anderen Vereinen sichtbar zu unterscheiden. Ein großes Unterfangen, berücksichtigt man den rasanten Zuwachs an neu gegründeten Musikkapellen in der Steiermark und das diesem gegenüberstehende Repertoire von rund 100 unterschiedlichen, regional zugeordneten steirischen Herrentrachten. Stadtkapelle Fehring – von der Tellermütze zur Erzherzog-Johann-Hochzeitstracht Die einkleidungstechnische Entwicklungsgeschichte der Stadtkapelle Fehring verdeutlicht in spannender Weise den Wandel im Laufe eines Zeitraumes von mehr als 100 Jahren und sei hier als anschauliches Beispiel stellvertretend für viele andere angeführt. 1875 wurde von Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Fehring eine kleine Feuerwehrkapelle gegründet. In ihren Anfängen mussten sich die Musikanten mit einheitlichen Mützen (Tellermütze beziehungsweise Feuerwehrkappe) als vereinsbindendes Erkennungsmerkmal begnügen. Darüber hinaus trugen sie bei ihren Ausrückungen Zivilkleidung, wobei hier wiederum nicht die Alltagskleidung, sondern das Sonntagsgewand gemeint war. Einen einheitlichen Anzug oder gar eine Uniform gab es nicht. Das folgte erst in den Jahren der Zwischenkriegszeit, wo laut Bilddokumenten aus dem Jahr 1926/27 Musiker im Steireranzug zu sehen sind.3 Aus der ehemals kleinen Feuerwehrkapelle wurde im Jahr 1954 eine Marktkapelle, die nun auch erstmals die Möglichkeiten nutzte, sich in einer einheitlichen Uniform – mit grauem Rock und Silberknöpfen, silberfarbigen Besätzen und Lyra, grauer Hose mit Lampasstreifen – zu präsentieren. Nach knapp zehn weiteren Jahren und viele Auftritte später wurde die zweite Vereinsuniform entwickelt, zumal damals aus der ehemaligen Marktkapelle eine Stadtkapelle hervorging und damit auch die musizierende Mitgliederzahl entsprechend anwuchs. Interessanterweise hielt man an der Grundform der ersten Uniform fest, ersetzte einzig und allein den silbernen Spiegel am Kragen durch einen dunkelgrünen und ging damit den ersten Schritt in Richtung einer regionalen Tracht. Die 1970er-Jahre waren von zwei weiteren Neueinkleidungen geprägt. Wie auch bei anderen Musikkapellen fiel die Wahl auf den »grauen Steireranzug mit steirisch-grüner Passepoilierung«4 sowie aufgenähtem Ärmelabzeichen. Auch ein rosafarbiges, seidenes Trachtentuch und ein »Original Ausseer Hut«5 werden in den Annalen erwähnt. Die Einkleidung wurde von zwei Schneiderwerkstätten in der Steiermark durchgeführt. Interessant ist in den Aufzeichnungen auch folgender Vermerk: »Finanziert wurde die Tracht vom Verein selbst. Man erhielt jedoch als Reaktion auf mehrere Bittschreiben Subventionen vom Land Steiermark und von verschiedenen Bundesministerien.«6 3 Karl-Heinz Promitzer, Stadtkapelle Fehring, Graz 1994, S. 39. 4 Ebda, S. 42. 5 Ebda. 6 Ebda.

GESCHICHTE & ENTWICKLUNG LAMPAS, GAMS UND SCHNEIDERFLIEGE | GESCHICHTE & ENTWICKLUNG SEITE 29 1972 verkündete die Stadtkapelle mit Stolz die erstmalige Aufnahme von zwei Musikerinnen, die nun ebenfalls eingekleidet werden mussten, und somit legte man die Männertracht für weibliche Mitglieder auf einen Damenschnitt mit Rock statt Hose um. Übrigens eine bis heute noch übliche Vorgehensweise, sofern die Männertracht nicht mit einer regionalen Frauentracht kombiniert wird. Ende der 1970er-Jahre erfolgte die mittlerweile vierte neue Einkleidung seit Bestehen des Fehringer Musikvereins. Hier ist in den Schriften von einem »steirisch grünen Erzherzog Johann Rock mit Stehkragen und ausgelegtem Revers«7 die Rede. Kombiniert mit einer Brokatweste, dunkelgrauer Hose beziehungsweise Rock für die Frauen werden auch einheitliche »Trachtenbinder«8, weiße Hemden und abermals der Original Ausseerhut genannt. Ausgehend von der Erzherzog-Johann-Tracht wurde Ende der 1980er-Jahre wiederum eine Neueinkleidung vollzogen: Nun kam die Erzherzog-Johann-Hochzeitstracht zum Zug – allerdings leicht abgeändert in der Farbe und durch den Austausch von Lederhose zu Langhose. Die Verwendung bestehender Trachten und deren farbliche Veränderungen waren und sind typische Vorgehensweisen bei der Einkleidung von Musikvereinen, »… zumal sich das ›Repertoire‹ an steirischen Männertrachten als zu klein erwies, um die vielen Musikkapellen im Lande ihrem Wunsch gemäß landschaftsgetreu und dennoch unterschiedlich einzukleiden …«9 Trachtenkapelle Gröbming, 1923. Foto: Steirisches Volksliedarchiv. 7 Ebda. 8 Schmales, mehrfarbig gewebtes Wollband, das – zu einer Masche gebunden – um den Hemdkragen getragen wird. 9 Gundl Holaubek-Lawatsch, Alte Volkskunst – Steirische Trachten, 2. Auflage, Graz 1993, S. 19.

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